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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten
Autoren: Colin Dexter
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sein, daß es jetzt
nur noch einen Menschen gab, der genau wußte, was sich an jenem Septemberabend
in der Sakristei abgespielt hatte, nämlich Paul Morris. Den Mann, der ihm seine
Frau weggenommen hatte, der sich vermutlich nach Ende des Schuljahres mit ihr
zusammentun würde und der an der ganzen Sache recht hübsch verdient hatte, ohne
sich allzusehr ins Zeug zu legen. Übrigens habe ich den Eindruck, daß Paul
Morris jetzt gar nicht mehr so sehr an einer festen Bindung mit Mrs. Josephs
interessiert war, aber das konnte Josephs nicht wissen. Sein Haß auf Morris
verstärkte sich, ebenso sein Allmachtsgefühl und die Befriedigung darüber, daß
er die Fertigkeiten, die er als Hauptmann einer Kommandoeinheit gelernt hatte,
noch beherrschte. Unter einem Vorwand verabredete sich Josephs mit Morris in St.
Frideswide’s, tötete ihn und versteckte die Leiche. Bei dem Ermordeten in der
Sakristei waren keine Schlüssel gefunden worden. Josephs hatte sie behalten und
konnte die Kirche für den Mord an Paul Morris und seinem Sohn Peter nutzen. Den
Führerschein hatten sie ihm abgenommen, er konnte also nicht mal einen Wagen
mieten. Sonst hätte er vermutlich versucht, die Leichen an anderer Stelle zu
deponieren. Am gleichen Abend verabredete er sich mit Peter Morris, den er
ebenfalls in der Kirche ermordet haben dürfte. Sicher hatte er zunächst vor,
beide Leichen in die Krypta zu schaffen. Nach Anbruch der Dunkelheit steckte er
den Jungen in einen Sack und öffnete die Tür am Südportal. Als die Luft rein
war, ging er zum Eingang der Krypta im südlichen Teil des Friedhofes — von der
Kirche aus rund fünfzehn Meter Fußweg. Doch beim Abstieg brach eine
Leitersprosse, und Josephs muß gestürzt sein. Mit einer größeren, schwereren
Last konnte oder wollte er dieses Risiko nicht noch einmal auf sich nehmen.
Deshalb disponierte er um und transportierte den toten Paul Morris auf den
Kirchturm.
    Marshall: Und dann beschloß er, seine Frau umzubringen?
    Morse: Ganz recht. Ob er zu diesem Zeitpunkt schon genau wußte, wo sie war, ob er mit
ihr in Verbindung stand, ob er Paul Morris die Adresse entlockt hat — das alles
weiß ich nicht. Aber nachdem die Leiche auf dem Kirchturm entdeckt worden war,
stand für ihn fest, daß er Brenda zum Schweigen bringen mußte. Außerdem
richteten sich jetzt, nachdem Paul Morris aus dem Weg war, sein Haß und seine
Eifersucht voll auf seine Frau. Vorher aber mußte er noch eine gefährliche
Aufgabe erledigen. Er mußte zum Haus von Vater und Sohn Morris nach Kidlington
fahren und dort den Eindruck erwecken, daß die beiden ausgezogen waren und den
Ort verlassen hatten. Ins Haus zu kommen war kein Problem. Bei den Toten wurden
keine Schlüssel gefunden, beide müssen aber zumindest einen Hausschlüssel
gehabt haben. Als er drin war-
    Marshall: Ja, danke. Würden Sie jetzt bitte dem Gericht erklären, welche
Rolle die Angeklagte in dem Fall gespielt hat?
    Morse: Für mich stand fest, daß Miss Rawlinson nur so lange nichts zu befürchten
hatte, wie sie über die Identität der in St. Frideswide’s gefundenen Toten im
unklaren war.
    Marshall: Und als bekannt wurde, um wen es sich bei den beiden Toten
handelte, beschloß Josephs, auch die Angeklagte zu ermorden?
    Morse: Jawohl, Sir. Wie Sie wissen, habe ich den Mordversuch miterlebt. Erst in diesem
Augenblick begriff ich, wer der Mörder war — und zwar, als ich den Schlips
erkannte, mit dem er versuchte, sie zu erwürgen. Es waren die Farben der
Kommandoeinheiten der Königlichen Marine.
    Marshall: Ja, sehr interessant, Inspector. Aber mußte nicht der Mörder die
Angeklagte von Anfang an ebenso furchten wie Brenda Josephs? Und warum, glauben
Sie, hat er die beiden Frauen dann unterschiedlich behandelt?
    Morse: Ich glaube, daß Josephs seine Frau zum Schluß gehaßt hat, Sir, das sagte ich
bereits.
    Marshall: Und der Angeklagten gegenüber hat er diesen Haß nicht empfunden?
    Morse: Das weiß ich nicht, Sir.
    Marshall: Sie behaupten nach wie vor, daß zwischen der Angeklagten und Harry
Josephs keine engere Beziehung bestand?
    Morse: Ich habe meiner Antwort nichts hinzuzufugen, Sir.
    Marshall: Nun gut. Bitte weiter, Inspector.
    Morse: Für mich stand fest, wie gesagt, fest, daß Josephs versuchen würde, Miss
Rawlinson so bald wie möglich zu töten. Es mußte ihm klar sein, daß jetzt alles
sehr schnell gehen würde und daß Miss Rawlinson außer ihm die einzige war, die
etwas davon wußte, was sich in Wirklichkeit abgespielt hatte.
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