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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten
Autoren: Colin Dexter
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Zeugen schwören sich um Kopf und Kragen und
verschaffen sich gegenseitig ein Alibi. Lionel steht am Altar, Paul Morris
sitzt an der Orgel, Ruth Rawlinson in einer Kirchenbank, Brenda Josephs ist im
Kino. Wenn sie alle bei ihrer Aussage bleiben, kann keinem was passieren. Der
Verdacht wird natürlich in erster Linie auf Bruder Philip fallen. Aber Lionel
hat ihm — und vermutlich auch den anderen — gesagt, daß alles bestens geregelt
ist. Wenige Minuten nach dem Mord wird er auf dem Bahnhof von Oxford in einen
Zug steigen und wird mit ein paar Tausendern als Lohn der Angst in der Tasche
zu einem Hotel fahren, in dem für ihn ein Zimmer reserviert ist. Dafür läßt es
sich mit so einem Verdacht schon leben, wie?»
    Morse leerte sein Glas, und Lewis, der es ausnahmsweise
einmal schneller geschafft hatte, ging zur Theke. Daß hier ein ganzer Wust von
Motiven zusammengekommen war, die sich (wenn Morse recht hatte) ergänzten und
bestätigten, war ihm klar. Aber was hatte diesen Haß auf Harry Josephs
ausgelöst? Schön, sie steckten alle irgendwie in der Klemme, aber wenn Morse
recht hatte, ließen sich ihre Schwierigkeiten eigentlich alle mit Geld
zufriedenstellend aus der Welt schaffen. Und warum dieses merkwürdige Theater
in der Kirche, das so kompliziert und unnötig schien? Warum hatten sie nicht
einfach Josephs umgebracht und seine Leiche irgendwo deponiert? Mit vereinten
Kräften hätten sie das bestimmt mühelos geschafft. Und dann der Mord selbst...
Morphiumvergiftung und ein Messer im Rücken. Nein, das paßte einfach alles
nicht zusammen.
    Er zahlte und ging vorsichtig zum Tisch zurück.
Morse würde ihm nie verzeihen, wenn er auch nur einen Kubikmillimeter von dem
kostbaren Naß verschüttete.
    Morse nahm einen gewaltigen Schluck und fuhr
fort: «Wir kommen jetzt zu der entscheidenden Frage: Weshalb dieser Haß auf
Harry Josephs? Solange wir diese Frage nicht beantworten können, tappen wir
nach wie vor im dunkeln. In engem Zusammenhang damit steht die Frage, wozu das
Theater bei dem vorgetäuschten Gottesdienst gut war und warum Josephs zweifach
umgebracht wurde. Nehmen wir uns zunächst die letzte Frage vor. Sie haben
sicher schon von den Erschießungspeletons gehört, bei denen vier Mann antraten,
um den armen Kerl am Pfahl zu erschießen und drei Mann Platzpatronen in der
Flinte haben. Das wird deshalb gemacht, damit niemand feststellen kann, wer den
tödlichen Schuß abgegeben hat. Ich dachte mir, daß so was in der Art hier auch
passiert sein könnte. Sie waren zu dritt, und keiner riß sich danach, allein
die Verantwortung zu übernehmen. Wenn Josephs nicht nur vergiftet und erstochen
worden wäre, sondern auch noch einen Schlag über den Schädel bekommen hätte,
hätte ich mit dieser Theorie ganz gut dagestanden. Aber wir haben aus dem
Obduktionsbericht erfahren, daß es zwei Todesursachen gibt und nicht drei.
Jemand kippt Josephs Morphium in den Rotwein, und dann sticht ihm entweder
derselbe oder ein anderer Jemand ein Messer in den Rücken. Wozu die Mühe?
Möglich, daß tatsächlich zwei Personen an dem eigentlichen Mord beteiligt
waren. Arbeitsteilung gewissermaßen, aus den oben genannten Gründen. Aber es
gab da noch einen viel gewichtigeren Grund. Sind Sie seelisch auf einen Schock
eingestellt, Lewis?»
    «Bei Ihnen immer, Sir.»
    Morse leerte sein Glas. «Verdammt gutes Bier.»
    «Ihre Runde, Sir.»
    «Was Sie nicht sagen...»
    Der Gastwirt war in den Schankraum gekommen, und
Lewis hörte, wie er mit Morse über die abgrundtiefe Dummheit der für die
Auswahl der Spieler in der englischen Nationalmannschaft Verantwortlichen
diskutierte.
    «Hausrunde», sagte Morse und setzte die beiden
Gläser vorsichtig auf den Bierdeckeln ab. (Da ist er mal wieder gut
weggekommen, dachte Lewis). «Wo war ich stehen geblieben? Ja, richtig. Sie
haben mich nicht gefragt, wo ich heute war. Ich war noch mal in Rutland.»
    «Leicestershire, Sir.»
    Morse tat, als habe er nicht gehört. «Ich habe
in diesem Fall einen bösen Fehler gemacht, Lewis. Nur einen. Ich habe zuviel
auf Gerüchte gehört, und Gerüchte sind etwas Schreckliches. Wenn ich aller Welt
erzähle, Sie hätten eine Affäre mit dieser Tippmammsell, die keine Absätze
macht, würden Sie plötzlich wie ein Verrückter zu beweisen versuchen, daß das
nicht stimmt, obgleich an dem Gerücht nicht die Spur von Wahrheit ist. Wie
heißt es so schön? Irgendwas bleibt immer hängen. So ist es wohl auch Lionel
ergangen. Mag sein, daß er homosexuell
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