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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten
Autoren: Colin Dexter
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sauberen Pärchen würde er mal ein
bißchen einheizen. Wenn er sich nur in einen Wagen setzen könnte... Das Telefon
läutete endlos. Waren sie am Ende doch nicht...? Doch dann meldete sich jemand.
    «Hallo?» Klang das nicht etwas gezwungen?
    «Mr. Morris?» Es fiel ihm nicht schwer, in den
breiten Yorkshire-Dialekt seiner Jugend zu verfallen.
    «Ja?»
    «Hier sind die Stadtwerke. Könnten wir wohl mal
vorbeikommen? Wir —»
    «Heute?»
    «Ja, jetzt über Mittag.»
    «Äh — nein — das paßt leider nicht. Ich bin nur
mal eben zu Hause vorbeigefahren, um mir ein — äh — Buch zu holen. Es war
reiner Zufall, daß Sie mich überhaupt erwischt haben. Ich — äh — muß sofort
wieder zurück in die Schule. Worum geht es denn?»
    Josephs legte grinsend auf. Sollte der
Armleuchter ruhig ins Schwitzen kommen.
     
     
    Als Brenda zehn nach drei heimkam, beschnitt
Harry Josephs gerade mit hingebungsvoller Pendanterie die Ligusterhecke. «Tag,
Schatz. Alles in Ordnung?»
    «Ja, danke. Der übliche Betrieb. Ich hab was
Schönes zum Abendessen mitgebracht.»
    «Hört man gern.»
    «Hast du mittags was gegessen?»
    «Einen Happen Brot und Käse.»
    Das war gelogen. Brenda wußte, daß sie keinen
Käse im Haus hatten. Leise Panik regte sich in ihr. Oder war er weg gewesen?
Rasch ging sie mit ihren Einkaufstüten ins Haus.
    Josephs setzte seine pingelige Arbeit an der
hohen Hecke fort, die sie von den Nachbarn trennte. Er hatte es nicht eilig,
und erst als er mit seiner Schnippelei direkt an der Beifahrertür angelangt
war, warf er einen beiläufigen Blick auf das Armaturenbrett. Meilenstand 2 5 63
3.
    Wie immer wusch er nach dem Abendessen allein
ab, einen weiteren Punkt seiner Ermittlungen vertagte er auf später, denn daß
seine Frau sich unter irgendeinem Vorwand früh hinlegen würde, stand für ihn
fest. Trotzdem war er jetzt fast guter Laune. Endlich mal saß er am längeren
Hebel (das dachte er jedenfalls). Nach dem Nachrichtenüberblick in BBC kam das,
was er erwartet hatte: «Ich glaube, ich nehme noch ein Bad und lege mich dann
bald hin, Harry, ich bin ziemlich erledigt.»
    Er nickte teilnahmsvoll. «Soll ich dir eine
Tasse Ovaltine bringen?»
    «Nein, danke, ich schlafe bestimmt sofort ein.
Lieb von dir.» Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter, und sekundenlang
standen Selbstvorwurf und Reue in ihrem Blick.
    Als das Wasser im Bad nicht mehr lief, ging
Josephs wieder in die Küche und sah in den Mülleimer. Fest zusammengeknüllt und
ganz unten im Abfall lagen vier weiße Papiertüten. Was für ein Leichtsinn,
Brenda. Er hatte am Morgen schon einmal den Mülleimer überprüft. Die vier Tüten
waren neu, und auf allen prangte der Namenszug des Quality-Supermarkts von
Kidlington.
     
     
    Als Brenda am nächsten Morgen weggefahren war,
machte er sich Kaffee und Toast und nahm sich den Daily Express vor. Die
starken nächtlichen Regenfälle hatten vielen Favoriten einen Strich durch die
Rechnung gemacht, die Tipgeber hatten sich mit ihren weit daneben liegenden
Voraussagen nicht gerade mit Ruhm bedeckt. Mit boshafter Freude stellte er
fest, daß Organist als siebenter von acht Läufern ins Ziel gegangen war.
Und Armer alter Harry — hatte gewonnen. Sechzehn zu eins. So leer war
der Tag also doch nicht gewesen.
     
     
     

3
     
    Für die letzte Stunde der Woche hätte man sich
kaum einen erfreulicheren Abschluß vorstellen können. Es waren nur fünf
Teilnehmer, alles Mädchen, die sich in diesem Kurs für den Realschulabschluß im
Fach Musik vorbereiteten, und alle fünf waren fleißig und strebsam. Während sie
sich ernsthaft vorbeugten, die Partitur der Klaviersonate Opus 90 auf den
Knien, bewunderte Paul Morris flüchtig, wie phantastisch Gilels Beethoven
spielte. Aber ästhetische Fragen beschäftigten ihn im Augenblick weniger. Nicht
zum erstenmal in den letzten Wochen ertappte er sich bei der Frage, ob er
wirklich zum Lehrer taugte. Gewiß, die Mädchen würden alle recht gut
abschneiden, er hatte die Prüfungsanforderungen unermüdlich mit ihnen gepaukt-
Thema, Entwicklung, Reprise. Aber sowohl seinen Erklärungen als auch der
Interpretation seiner Schülerinnen fehlte es an Schwung und echter
Begeisterung. Und die traurige Wahrheit war, daß das, was bis vor kurzem eine
große Leidenschaft gewesen war, jetzt allenfalls noch den Wert angenehmer Hintergrundmusik
hatte. Von der Kunst zur Berieselung — in drei kurzen Monaten.
    Morris hatte seinen früheren Posten vor fast
drei Jahren hauptsächlich
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