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Eine Leiche im Badehaus

Titel: Eine Leiche im Badehaus
Autoren: Lindsey Davis
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Glück sagen konnten, wenn das Tierfett in den Lampen die Kaschemme nicht in Brand setzte. Da es in Noviomagus Regnensis an Straßenlaternen mangelte, gab es mit Sicherheit auch keine organisierte Feuerwehr. Einst, als ich noch ein verantwortungsbewusster Mann gewesen war, der alle Sinne beisammen hatte und voller Energie war, wäre ich vielleicht durch die Küche hinausgegangen, um zu überprüfen, ob es einen Brunnen und Eimer gab … Nein, nicht heute Abend nach einem Todesfall und mehreren Bechern Wein.
    Eine Platte mit gegrillten Fleischstückchen landete auf unserem Tisch. Sie stand eine Weile da. Da sie niemandem zu gehören schien, machte ich mich schließlich darüber her. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal gegessen hatte.
    Die Menge bewegte sich und ordnete sich neu. Durch einen Spalt entdeckte ich die Camillus-Brüder, eingequetscht und rot im Gesicht. Helena winkte. Sie machten Anstalten, sich zu uns durchzudrängen, gaben aber auf. Mit den Lippen formte ich die Worte: »Wo ist Larius?«, und sie gaben genauso zurück: »Virginia!« Dann wurde es am hinteren Ende des Raums unter den Trinkern plötzlich still. Erregung breitete sich über dem Stimmengewirr aus, und alle verstummten. Schließlich wurde durch diese Stille ein neues Geräusch hörbar – das Rasseln eines Tamburins, sehr leise geschüttelt, und eine noch leisere Schnarrtrommel. Jemand brüllte den Männern weiter vorne zu, sie sollten sich setzen. Helena sah, wie Männer in unserer Nähe auf die Tische kletterten. Sie warf mir einen Blick zu. Im nächsten Moment waren wir beide aufgesprungen und standen auf einer schmalen Bank.
    So blieben wir stehen, aneinander geklammert, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Und so wurden wir, in einer dreckigen, lärmenden, verrufenen Kaschemme beim Torhaus einer halb fertigen Stadt, in dieser Nacht, als wir Perella tanzen sahen, halbwegs in den Olymp gehoben.

LVIII
     
     
    Die besten Künstler sind nicht mehr jung. Nur welche mit Lebenserfahrung, die Freude und Schmerz kennen, können einem zu Herzen gehen. Sie müssen wissen, was sie versprechen. Sie müssen erkennen, was man verloren hat und wonach man sich sehnt, wie sehr man Trost braucht und was die Seele zu verbergen trachtet. Ein reifer Schauspieler zeigt, dass die jungen Schönlinge, für die sich die jungen Mädchen die Seele aus dem Leib kreischen, noch gar nichts zu bieten haben. Eine große Tänzerin fängt auf dem Höhepunkt ihres Schaffens die Menschlichkeit ein. Ihre sexuelle Ausstrahlung ist umso anziehender, denn nach allgemeiner Ansicht sind nur junge Mädchen mit perfektem Körperbau und hübschem Gesicht erregend. Umso aufregender ist es, sowohl für Männer als auch Frauen, den Beweis zu sehen, wie dumm diese Vorstellung ist. Die Hoffnung lebt.
    Perella enthüllte körperlich fast nichts. Ihr Kleid wirkte vollkommen unauffällig. Ihre strenge Frisur betonte den Knochenbau ihres bleichen Gesichts. Sie trug keinen Schmuck – keine kitschigen Fußkettchen, keine glitzernden, auf ihr Kostüm genähten Metallplättchen. Als sie die grässliche Kaschemme betrat, beleidigte ihre gleichgültige Haltung beinahe das Publikum. Es lechzte danach. Ihr prosaischer, fließender Gang verlangte nach keinem Gunstbeweis. Nur die respektvolle Art, in der ihre Musiker sie erwarteten, gaben einen Hinweis. Sie kannte ihre Qualität. Sie ließ sie zuerst spielen – eine Doppelflöte, fast unheimlich vor Melancholie, eine Trommel, ein Tamburin, eine kleine Harfe in den plumpen beringten Händen eines unglaublich fetten Harfenisten. Keine klischeehaften Kastagnetten. Sie selbst spielte kein Instrument.
    An welchem Punkt ihrer Vergangenheit sie sich mit Spionen eingelassen hatte, wagte ich nicht zu überlegen. Sie mussten sich an sie rangemacht haben, weil sie so gut war. Sie war in der Lage, sich überall zu bewegen. Sie hatte weder Furcht noch affektiertes Gehabe; sie tanzte hier genauso aufrichtig, wie sie es überall tun würde. Der einzige Fehler in den Augen ihrer Palastauftraggeber war, dass sie, weil sie so gut war, immer Aufsehen erregte.
    Sie begann zu tanzen. Die Musiker beobachteten und reagierten auf sie, sie passte ihre Bewegungen genau ihren Melodien an. Das gefiel ihnen. Ihre Freude fachte die Erregung an. Perella tanzte zuerst mit so zurückhaltenden Bewegungen, dass man sich fast verhöhnt vorkam. Dann wurde jede Beugung ihrer ausgestreckten Arme und jede leichte Drehung ihres Halses zu einer perfekten Geste. Als
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