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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Autoren: Bill Bryson
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Bayes'sche Regel beim Erstellen von Modellen des Klimawandels benutzt, zum Vorhersagen von Börsenentwicklungen, zur Feststellung von Messergebnissen mit der Radiokarbonmethode, zur Interpretation kosmologischer Ereignisse und überall sonst, wo es um Wahrscheinlichkeit geht — und das nur deshalb, weil sich ein englischer Geistlicher im achtzehnten Jahrhundert mal ein paar Gedanken gemacht und sie notiert hat.
    Viele andere Kirchenmänner produzierten keine großartigen Werke, sondern großartige Kinder. John Dryden, Christopher Wren, Robert Hooke, Thomas Hobbes, Oliver Goldsmith, Jane Austen, Joshua Reynolds, Samuel Taylor Coleridge, Horatio Nelson, die Schwestern Brontë, Alfred Lord Tennyson, Cecil Rhodes und Lewis Carroll (der selbst ordiniert wurde, den Beruf aber nie ausübte) waren alles Pfarrerskinder. Wie über die Maßen groß der Einfluss der Geistlichkeit war, sieht man, wenn man im Internet im britischen Dictionary of National Biography nachschaut. Wenn man rector eingibt, erhält man viertausendsechshundert Treffer, bei vicar weitere dreitausenddreihundert. Dagegen nehmen sich die 338 für »Physiker«, 492 für »Ökonom«, 639 für »Erfinder« und die 741 für »Naturwissenschaftler« sehr bescheiden aus. Sie sind interessanterweise nicht sehr viel zahlreicher als die für »Schürzenjäger«, »Mörder« oder »geistig Kranke«, werden allerdings von »Exzentrikern« mit 1010 Treffern erheblich übertroffen.
    Unter den Pfarrern leisteten viele derart Hervorragendes, dass man über diesen wirklich außergewöhnlichen Herrschaften leicht vergisst, dass die meisten anderen, sofern sie überhaupt Großes vollbrachten oder den Ehrgeiz dazu hatten, keinerlei Spur davon hinterlassen haben — wie unser Mr. Marsham. Ruhm erlangte er bestenfalls als Urenkel von Robert Marsham, dem Begründer der Phänologie, der Wissenschaft (falls man sie so nennen kann), die jahreszeitliche Veränderungen verfolgt, die ersten Knospen am Baum, den ersten Kuckuck im Frühling und so weiter. Eigentlich könnte man annehmen, dass sich die Leute dergleichen selbstverständlich merkten, doch dem war bisher nicht so gewesen, jedenfalls hatten sie es nicht systematisch aufgeschrieben, und als Marsham erst einmal damit angefangen hatte, wurde es in aller Welt ein höchst beliebter, angesehener Zeitvertreib. In den Vereinigten Staaten betätigte sich zum BeispielThomas Jefferson als begeisterter Phänologe. Selbst als er schon Präsident war, fand er die Zeit, das erste und letzte Auftauchen von siebenunddreißig Obst- und Gemüsesorten auf den Märkten in Washington zu notieren und seinen Verwalter in Monticello, seiner Plantage in Virgina, anzuweisen, ebenfalls auf solche Dinge zu achten, damit man sehen konnte, ob die Daten signifikante Klimaunterschiede zwischen den beiden Orten anzeigten. Wenn heutige Klimaforscher sagen, dass die Apfelblüte drei Wochen früher als vor zweihundert Jahren stattfindet, berufen sie sich auf Robert Marshams Aufzeichnungen. Dieser Marsham war auch einer der reichsten Männer East Anglias. Er besaß ein großes Gut in einem Dorf bei Norwich, das sich mit dem kuriosen Namen Straffon Strawless schmückt. Dort wurde Thomas John Gordon Marsham im Jahre 1821 geboren. Als Erwachsener musste er dann nur ein paar Kilometer weiterziehen, um den Pfarrersposten in unserem Dorf anzunehmen.
    Über sein Leben hier wissen wir fast nichts. Doch über den Alltag eines Landpfarrers im goldenen Zeitalter der Spezies viel, weil wir die fleißigen Aufzeichnungen von einem haben, der in der Nachbargemeinde Weston Longville lebte, acht Kilometer über die Felder nach Norden (und vom Dach unseres Pfarrhauses noch sichtbar). Er hieß James Woodforde und lebte in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. So viel anders als zu Mr. Marshams Zeiten wird es damals nicht gewesen sein. Woodforde war weder besonders fromm noch gebildet und auch nicht mit besonderen Begabungen gesegnet, doch er freute sich seines Daseins und führte fünfundvierzig Jahre lang munter Tagebuch, das, wie gesagt, einen ausgesprochen detaillierten Einblick in das Leben eines Landpfarrers bietet. Fast eineinhalb Jahrhunderte lang war es vergessen, doch nachdem es entdeckt wurde, veröffentlichte man es in gekürzter Form 1924 als Tagebuch eines Landpfarrers. Und obwohl es, wie ein Kritiker bemerkte, »wenig mehr war als eine Chronik der Völlerei«, wurde es zum internationalen Bestseller.
    Welche Unmengen an Nahrungsmitteln im achtzehnten
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