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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Autoren: Bill Bryson
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hätten gefällt werden müssen. Wegen der Größe des Gebäudes war der Materialeinsatz enorm: 293 655 Glasscheiben, 33 000 Eisenrahmen und tausende Quadratmeter Holzfußboden. Doch dank Paxtons Bauweise beliefen sich die letztendlichen Kosten auf höchst genehme 80 000 Pfund. Alles in allem brauchte man für den Bau knapp fünfunddreißig Wochen. Der Bau der St. Paul's Kathedrale hatte fünfunddreißig Jahre gedauert.
    Gut drei Kilometer entfernt werkelte man im Übrigen schon seit einem Jahrzehnt an dem neuen Parlamentsgebäude, und es war immer noch längst nicht fertig. Ein Autor des Punch schlug vor, und das nur halb im Scherz, die Regierung möge doch Paxton mit dem Entwurf eines Kristallparlaments beauftragen. Für verfahrene Situationen entstand die Redensart »Fragt Paxton«.
    Der Kristallpalast war zugleich das größte und das leichteste, schwebendste Gebäude der Welt. Heute sind wir große Glasflächen gewöhnt, doch für jemanden, der im Jahre 1851 lebte, war die Möglichkeit, durch weite hohe, luftige Räume im Inneren eines Gebäudes zu wandeln, überwältigend, ja schwindelerregend. Den Blick, der sich dem ankommenden Besucher von Weitem auf die glitzernde, transparente gläserne Ausstellungshalle bot, können wir uns einfach nicht mehr vorstellen. Es muss so zart und flüchtig, so wunderbar zaubrisch ausgesehen haben wie eine Seifenblase. Ja, den Leuten, die in den Hyde Park kamen, müssen beim Anblick des über den Bäumen schwebenden, im Sonnenlicht funkelnden Prachtbaus regelrecht die Knie weich geworden sein.
    II.
    Als der Kristallpalast in London entstand, wurde neben einer uralten Dorfkirche unter dem weiten Himmel Norfolks unweit des Mark - tstädtchens Wymondham ein wesentlich bescheideneres Gebäude errichtet: ein eher unauffälliges, geräumiges Pfarrhaus mit unsymmetrischem Dach, kecken Schornsteinen und holzverzierten Giebeln — »recht groß, auf verlässliche, respektabel hässliche Weise bequem«, beschrieb Margaret Oliphant, eine ungeheuer populäre und produktive viktorianische Romanschreiberin, Häuser dieser Gattung.
    Mit dem Haus werden wir es in diesem Buch immer wieder zu tun haben. Es wurde für Thomas J. G. Marsham, einen jungen Pfarrer aus guter Familie, von einem Edward Tull aus Aylsham erbaut, einem Architekten, der, wie wir noch sehen werden, faszinierend wenig Talent besaß. Marsham war neunundzwanzig Jahre alt und Nutznießer eines Systems, das ihm und seinesgleichen einen mehr als anständigen Lebensunterhalt bot und im Gegenzug wenig dafür verlangte.
    1851 gab es 17 621 Geistliche in der anglikanischen Kirche, und ein Landpfarrer, der sich um das Seelenheil von nicht einmal zweihundertfünfzig Gemeindemitgliedern kümmern musste, kam auf ein Durchschnittseinkommen von fünfhundert Pfund im Jahr nicht weniger als ein höherer Staatsbeamter wie zum Beispiel Henry Cole, der Mann hinter der Weltausstellung. Jüngere Söhne aus hohem und niederem Adel hatten die Wahl: Sie konnten in den Kirchendienst treten oder zum Militär gehen. Und sie brachten oft auch noch Familienvermögen mit. In vielen Pfarrstellen besserte man außerdem sein Einkommen durch das Verpachten von Pfarrland auf, also von Ackerflächen, die zu der Stelle gehörten. Selbst weniger privilegierten Amtsinhabern ging es im Allgemeinen richtig gut. Jane Austen wuchs in einem Pfarrhaus in Steventon in Hampshire auf, das sie als peinlich unzureichend betrachtete, doch es hatte ein Wohnzimmer, eine Küche, ein Empfangszimmer, ein Arbeitszimmer, eine Bibliothek und sieben Schlafzimmer; Not litt hier niemand. Die reichste Pfründe befand sich in Doddington in Cambridgeshire; sie umfasste 38 000 Morgen Land und bescherte dem glücklichen Inhaber bis zu ihrer Aufteilung im Jahre 1865 ein jährliches Einkommen von 7300 Pfund — was heute ungefähr fünf Millionen Pfund wären.*
    Damals gab es zwei Arten von Pfarrern in der anglikanischen Kirche: vicars und rectors. Der Unterschied war, was das Geistliche betrifft, minimal, in finanzieller Hinsicht allerdings riesengroß. Traditionell waren die vicars Ersatzleute für die rectors, doch zu Zeiten von Mr. Marsham war diese Unterscheidung schon weitgehend geschwunden, und ob ein Pfarrer vicar genannt wurde oder rector, richtete sich hauptsächlich danach, welcher Begriff in der betreffenden Pfarrgemeinde üblich war. Nur die Differenz im Einkommen, die blieb.
    Die Entlohnung eines Geistlichen erfolgte nicht durch die Kirche selbst, sondern ergab sich, je nach
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