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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Autoren: Bill Bryson
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vergleichsweise provinzielle Angelegenheit und nur von französischen Herstellern beschickt — und wollte unbedingt etwas Ähnliches in England auf die Beine stellen, aber in größerem Stil. Er begeisterte viele gesellschaftlich wichtige Menschen, einschließlich Prinz Albert, seines Zeichens Gatte Königin Victorias, für die Idee, und so fand am elften Januar 1850 das erste Vorbereitungstreffen für eine Weltausstellung statt. Am ersten Mai des folgenden Jahres sollte Eröffnung sein. Man hatte also knapp sechzehn Monate Zeit, um das größte Gebäude zu planen und zu bauen, das sich je einer vorgestellt hatte. Außerdem mussten Zehntausende von Ausstellungsstücken aus allen Teilen der Welt herbeigekarrt werden, Restaurants und Toiletten gebaut, Personal eingestellt,Versicherungen abgeschlossen, Handzettel gedruckt und für Polizeischutz gesorgt werden. Es gab tausenderlei Dinge zu tun, und das in einem Land, das keineswegs davon überzeugt war, dass es eine solch kostspielige und aufwändige Veranstaltung überhaupt wollte. Das Ziel war ohnehin in der kurzen Zeit unerreichbar. Allein für die Ausstellungshalle wurden in einem offenen Wettbewerb zweihundertfünfundvierzig Entwürfe eingereicht — und ausnahmslos als nicht realisierbar verworfen.
    Angesichts der drohenden Katastrophe tat das Komitee, was Komitees in verzweifelten Situationen gern tun: Es ernannte ein neues Komitee mit einem wohlklingenderen Namen. Das »Baukomitee der Königlichen Kommission für die Weltausstellung der Werke der Industrie aller Nationen« bestand aus vier Männern — Matthew Digby Wyatt, Owen Jones, Charles Wild und dem großen Ingenieur Isambard Kingdom Brunel — und hatte einzig und allein die Aufgabe, mit einem eng begrenzten, schmalen Budget einen Entwurf zu präsentieren, der der in zehn Monaten beginnenden größten Ausstellung der Geschichte würdig war. Nur der junge Wyatt war ausgebildeter Architekt, er hatte jedoch bis dato noch nichts gebaut und verdiente sich seine Brötchen in der schreibenden Zunft. Wild war Ingenieur, hatte aber fast nur mit Schiffen und Brücken zu tun gehabt; Jones war Innenarchitekt. Nur Brunel hatte Erfahrung mit großen Projekten. Er war auch ohne jeden Zweifel genial, doch insofern enervierend, als es fast immer langwierig und kostspielig war, einen Kompromiss zwischen seinen hochfliegenden Visionen und dem realistisch Machbaren zu finden.
    Der Bau, den die vier Männer ausheckten, war gelinde gesagt verunglückt: riesig und niedrig, ein trübselig dunkler Schuppen mit der heiteren Atmosphäre eines Schlachthofs. Es sah ganz so aus, als hätten hier vier Architekten in aller Eile jeder für sich etwas ersonnen. Die Kosten waren kaum zu kalkulieren, doch man hätte das Gebäude ohnehin nicht bauen können, weil man dreißig Millionen Backsteine gebraucht hätte. Woher die nehmen, geschweige denn in der kurzen Zeit verbauen? Gekrönt werden sollte das Ganze mit einer eisernen Kuppel von circa sechzig Metern Durchmesser, so jedenfalls Brunels Vorschlag — eine tolle Sache, gewiss, doch auf einer einstöckigen Halle vielleicht einen Hauch abwegig. Noch nie war etwas derart Riesiges aus Eisen konstruiert worden, und Brunel hätte natürlich erst anfangen können, herumzutüfteln, wie man das Trumm aufs Dach bekam, wenn der Bau darunter stand. Dabei sollte alles zusammen in zehn Monaten fertig sein! Unklar war auch, wer nach einem halben Jahr alles wieder abreißen würde und was aus der mächtigen Kuppel und den Millionen Backsteinen werden sollte; das bedachte man erst gar nicht.
    Mitten in dieser sich verschärfenden Krise trat Joseph Paxton auf den Plan, ein ruhiger Zeitgenosse, Obergärtner im Chatsworth House, dem Hauptwohnsitz des Duke of Devonshire, der — unüberbietbar englisch — in Derbyshire gelegen ist. Paxton war ein Wahnsinnstyp. Er wurde 1803 geboren und stammte aus einer armen Bauernfamilie in Bedfordshire, die ihn, als er vierzehn war, zum Arbeiten in eine Gärtnerlehre schickte. Dabei zeichnete er sich rasch aus und leitete bereits sechs Jahre später eine Versuchsbaumschule für die renommierte neue Horticultural Society in Westlondon, die kurz darauf in Königliche Gartenbaugesellschaft umbenannt wurde — ein ungemein verantwortungsvoller Job für jemanden, der kaum dem Knabenalter entwachsen war. Als er sich einmal mit dem Duke of Devonshire unterhielt, der Chiswick House nebenan sein Eigen nannte (und außerdem ein Gutteil der restlichen britischen Inseln, insgesamt
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