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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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Streichholz an, und wir tasteten uns an der Wand entlang.
    Ungefähr zwanzig Meter von dem engen Eingang entfernt öffnete sich die Höhle zu einem großen hohen Raum. Wir spürten einen leichten Luftzug, als ob der Felsen porös wäre.
    Je tiefer wir in das Innere vordrangen, desto heller wurde es, aber es war unmöglich zu sagen, woher das Licht kam.
    Der Gang wurde wieder enger und machte eine Linkskurve; dann wurde es so eng, daß Tony und ich nicht mehr nebeneinander gehen konnten; wir mußte hintereinander laufen.
    Ein wenig verbreiterte sich der Gang wieder, und Tony blieb so ruckartig stehen, daß ich mit ihm zusammenstieß.
    »Wir haben Gesellschaft, Alice«, sagte er.
    Ich trat neben ihn und schaute auf die gegenüberliegende Wand der Höhle. Ich hörte, wie Tony einatmete.
    Es war ein riesiges, merkwürdiges Wandgemälde: die Darstellung einer Frau in einem langen weißen Gewand.
    Sie hatte einen Katzenkopf.
    »Da sind noch mehr, Alice! Schau doch!« flüsterte Tony.
    Meine Augen glitten die Wand entlang. Es gab sechzehn von diesen Darstellungen. Sie waren alle gleich, bis auf die Köpfe. Jede der Figuren hatte einen anderen Katzenkopf.
    »Laß uns hier abhauen, Alice, das ist ja wirklich schaurig«, drängte Tony und zog mich am Arm. Ich schüttelte ihn ab. Was ich hier sah, ließ mich buchstäblich am ganzen Körper zittern.
    »Weißt du nicht, wen du hier anschaust, Tony?«
    »Nein.«
    »Das ist Bast, die ägyptische Göttin, die Personifizierung der guten, lebensspendenden Wärme der Sonne. Die Katze war das heilige Tier der Bast, und deshalb wird sie für gewöhnlich mit einem Katzenkopf dargestellt.«
    Hunderte kleiner Lichtpunkte schienen in meinem Kopf zu explodieren; Hunderte von Erinnerungen. Es war, als würde eine Schriftrolle vor mir aufgerollt.
    »Wieviele Tote waren es, Tony?«
    »Siebzehn.«
    »Richtig. Und hier sind nur sechzehn Darstellungen. Die letzten beiden Opfer, die Tyre-Brüder, hatten nur eine Katze. Siebzehn Opfer, sechzehn Katzen, sechzehn Darstellungen.«
    »Wovon zum Teufel redest du, Alice.«
    Ich war so aufgeregt, daß ich kaum antworten konnte. Plötzlich paßte alles zusammen, wie die Steinchen eines Puzzles. Selbst die abwegigsten meiner Theorien fügten sich perfekt ins Bild. Nie in meinem Leben hatte ich so eine intellektuelle Erregung empfunden.
    »Tony«, sagte ich schließlich, »geh zu der dritten Figur.«
    »Warum?«
    »Frag nicht, geh einfach.«
    Er ging hinüber, und obwohl es nicht dunkel in der Höhle war, zündete er zwei Streichhölzer an, hielt sie zusammen und leuchtete mit hoch erhobenem Arm die Figur an.
    »Weißt du, wen du hier anschaust?« fragte ich mit vor Aufregung zitternder Stimme.
    »Eine Frau mit einem Katzenkopf.«
    »Das ist der Kopf und das Gesicht von Jill Bonaventuras weißer Katze Missy.«
    Tony blies die Streichhölzer aus und kam zurück. Er sah erstaunt aus. Dann sagte er: »Dritte Figur, drittes Opfer, dritte Katze.«
    »Genau, Tony.«
    Und dann sagte er aufgeregt: »Dann muß die letzte Figur den Kopf einer Siamkatze haben, denn die beiden Brüder hatten eine Siamkatze.« Er fing an, sich um sich selbst zu drehen und lachte und jauchzte dabei wie ein Derwisch. Sein Gebrüll wurde von den Wänden als Echo zurückgeworfen und gellte in unseren Ohren. Plötzlich hörte er mit seiner verrückten Vorstellung auf. Er sah mich ausdruckslos an. »Aber was soll das, Alice? Was zum Teufel hat das alles zu bedeuten?«
    Ich ignorierte seine Frage. Statt dessen fragte ich ihn: »Hast du Bargeld dabei?«
    »Ja, sicher.«
    »Dann nehmen wir jetzt ein Taxi und fahren zu Retro.«
    »Was immer du willst, Alice.«
    Langsam und vorsichtig, immer noch unter dem Eindruck der prächtigen, geheimnisvollen Wandgemälde, verließen wir die Höhle.

18
    Die häßliche Uhr an der Wand stand auf zwanzig nach zwei Uhr nachmittags. Tony und ich warteten jetzt bereits seit über zwei Stunden auf Judy Mizener.
    Tony war aufgebracht und verärgert darüber, daß er so lange hier rumsitzen mußte. Mir machte es im Grunde genommen nicht viel aus. Es gab so vieles, worüber ich nachdenken mußte: Aspekte, die ich noch einmal überprüfen mußte. Der Fund dieser bemerkenswerten Wandgemälde war ein massiver Schock für mein Nervensystem gewesen. Es gab einfach zu vieles, worüber ich mir gründlich Gedanken machen mußte. Zu viele Möglichkeiten hatten sich plötzlich auf getan. Ich kam mir vor wie ein Bluthund, der tagelang vergeblich in einem Wald herumgeschnüffelt

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