Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine hinreißend widerspenstige Lady

Titel: Eine hinreißend widerspenstige Lady
Autoren: Loretta Chase
Vom Netzwerk:
Straßen strömen!“
    Sie riss sich den Schleier, den sie zwar verabscheute, aber in der Öffentlichkeit tragen musste, vom Kopf, und zum Vorschein kamen das dunkle Haar und ein Paar haselnussbrauner Augen einer nicht mehr ganz jungen Frau mediterraner Abstammung. Daphne hatte sie auf Malta in ihre Dienste genommen, nachdem ihre englische Zofe sich den Anstrengungen der ausgedehnten Reise nicht gewachsen gezeigt hatte.
    Lina sprach nicht nur Englisch, Griechisch, Türkisch und Arabisch, sondern konnte auch ein wenig schreiben und lesen, was in diesem Teil der Welt für eine Frau schier unerhörte Fertigkeiten waren. Andrerseits war sie zutiefst abergläubisch und fatalistisch und neigte dazu, vor jedem hellen Hoffnungsschimmer am Horizont die dunkel dräuende Wolke der Verderbnis zu sehen.
    Da sie an Linas theatralisches Gebaren schon gewöhnt war, hob Daphne nur leicht die Brauen. „Welcher Engländer? Was ist passiert?“
    „Ein Engländer hat sich mit einem Soldaten des Paschas geprügelt und dem Kerl den Schädel zertrümmert. Man sagt, dass es hundert Soldaten brauchte, um den tobenden Engländer gefangen zu nehmen. Die Türken werden seinen Kopf abschlagen, ihn auf eine Lanze spießen, und damit wird es noch nicht genug sein. Man wird alle Franken bekriegen, vor allem aber die Engländer!“
    Anders als die meisten von Linas apokalyptischen Szenarien klang dies erschreckend wahrscheinlich.
    Die osmanischen Herrscher Ägyptens würden sich im finstersten Mittelalter sehr wohlgefühlt haben. Prügel, Folter und Enthauptungen waren an der Tagesordnung. Weder Ägypter noch Türken schätzten die „Franken“, wie sie die wenig geliebten Europäer nannten, und das Militär - eine mörderische Horde ägyptischer, türkischer und albanischer Söldner, die Dschingis Khans mongolische Meute wie kichernde Schulmädchen aussehen ließen - war jedem feindlich gesinnt, manchmal sogar ihrem eigenen Befehlshaber Mohammed Ali, dem Pascha von Ägypten.
    Daphne war ganz allein - von ihren Dienstboten abgesehen, die aber dummerweise alle fürchterliche Angst vor den Soldaten hatten, und das nicht ohne Grund.
    Sie spürte, wie sich Besorgnis in ihr regte, wie schaudernde Furcht und allerlei Fragen sie bestürmten. Äußerlich blieb sie indes ruhig. Ihre Ehe hatte es sie gelehrt, ihre wahren Gefühle zu verbergen.
    „Wenn es denn stimmt“, sagte sie. „Wer würde so töricht sein, sich mit einem Soldaten des Paschas anzulegen?“
    „Man sagt, der Mann sei noch nicht lange in Kairo“, meinte Lina. „Diese Woche erst sei er aus Alexandria eingetroffen, um für den englischen Generalkonsul zu arbeiten. Man sagt auch, dass er sehr groß und von dunkler Schönheit sein solle. Aber wenn sie seinen Kopf auf eine Lanze spießen und durch die Stadt tragen, dürfte er nicht mehr ganz so schön anzusehen sein.“
    Daphne verbannte das Schreckensbild aus ihren Gedanken und sagte forsch: „Der Mann muss sterbensdumm sein. Was uns eigentlich nicht überraschen sollte, pflegt das britische Konsulat doch bevorzugt Verbindungen zu Personen von zweifelhaftem Charakter.“ Sie dachte dabei an Mr. Salt, den englischen Generalkonsul, der hauptsächlich im Lande weilte, um so vieler Antikenschätze wie irgend möglich habhaft zu werden - und dabei keineswegs zimperlich vorging.
    Dass er nun auch noch einen rabiaten Dummkopf in seine Dienste genommen hatte, würde vom Militär gewiss als ein willkommener Anlass zur Vergeltung genutzt werden. Kein Europäer würde in Kairo noch sicher sein.
    Und Miles - jetzt gerade auf dem Rückweg nach Kairo, blond, blauäugig, hochgewachsen und unverkennbar englisch - gäbe ein geradezu ideales Ziel ab.
    Daphne schlug die Augen nieder und sah, wie ihr die Hände zitterten. Beruhige dich, befahl sie sich. Noch ist nichts geschehen. Denk nach.
    Wozu hatte sie denn ihren Verstand? Einen ganz vorzüglichen Verstand noch dazu. Es sollte also möglich sein, eine Lösung zu finden.
    Angestrengt blickte sie auf eine in Griechisch verfasste Lobpreisung des Ptolemäus und überlegte, was zu tun sei.
    Sarah, die Gemahlin des berühmten Entdeckers Giovanni Belzoni, hatte vor einigen Jahren im Gewand eines arabischen Händlers unerkannt eine Moschee besucht, was Frauen und Ungläubigen strikt untersagt war. Mit etwas Glück könnte es auch ihr gelingen, überlegte Daphne, in einer solchen Verkleidung aus Kairo zu entkommen und ihren Bruder rechtzeitig abzufangen. Dann könnten sie ein Boot mieten und stromaufwärts
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher