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Eine Handvoll Worte

Titel: Eine Handvoll Worte
Autoren: Jojo Moyes
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Schwester, daher müsse Anthony für die ersten beiden Tage andere Vorkehrungen treffen.
    »Er kann doch mit uns ins Büro kommen«, sagte Don. »Sich mit einer Teekanne nützlich machen.« Da Anthony wusste, was Don davon hielt, wenn sich Familienleben mit der Nation vermischte, war er dankbar. Er hatte unbedingt wieder arbeiten, wenigstens annähernd ein normales Leben aufnehmen wollen. Phillip war rührend erpicht darauf, sie zu begleiten.
    Anthony setzte sich an seinen neuen Schreibtisch und überflog die Morgenzeitungen. Bei den Inlandsnachrichten war keine Stelle frei gewesen, daher war er »freier Reporter« geworden, die Ehrenbezeichnung sollte ihm vermutlich versichern, dass er wieder einer werden sollte. Er trank einen Schluck Kaffee und zuckte bei dem vertrauten scheußlichen Geschmack zusammen. Phillip ging von einem Schreibtisch zum anderen und fragte, ob jemand Tee haben wolle, das Hemd, das Anthony am Morgen für ihn gebügelt hatte, lag unzerknittert an seinem dürren Rücken an. Plötzlich fühlte er sich – dankenswert – zu Hause. Hier begann sein neues Leben. Es würde schön werden. Ihnen würde es gut gehen. Er weigerte sich, in die Auslandsabteilung zu schauen. Er wollte noch nicht wissen, wen sie an seiner Statt nach Stanleyville geschickt hatten.
    »Hier.« Don warf ihm eine Ausgabe der Times zu, eine Story rot umrandet. Schreib uns mal eben eine Neufassung über den Weltraumstart in den USA. Um diese Zeit wirst du keine neuen Zitate aus den Staaten bekommen, aber es wird eine kurze Kolumne auf Seite achtgeben.«
    »Wie viele Wörter?«
    »Zwei Mal fünfzig.« Dons Stimme klang reumütig. »Später habe ich etwas Besseres für dich.«
    »Schon gut.« Es war in Ordnung. Sein Sohn lächelte, trug ein beladenes Tablett mit beinahe übertriebener Vorsicht vor sich her. Er warf seinem Vater einen Blick zu, und Anthony nickte anerkennend. Er war stolz auf den Jungen, stolz auf dessen Tapferkeit. Es war tatsächlich ein Geschenk, jemanden zu haben, den man liebte.
    Anthony zog seine Schreibmaschine zu sich und steckte Kohlepapier zwischen die Blätter. Eine Kopie für den Redakteur, eine für die Korrektoren, eine für seine Akten. Die Routine hatte eine Art verführerische Wonne an sich. Er tippte seinen Namen auf den oberen Rand der Seite und vernahm das zufriedenstellende Klappern der Typen auf dem Papier.
    Er las den Artikel in der Times immer wieder und machte sich ein paar Notizen. Er flitzte hinunter in die Bibliothek der Zeitung, zog die Akte über Weltraummissionen heraus und überflog die neuesten Artikel. Er machte sich noch mehr Notizen. Dann legte er die Finger auf die Schreibmaschinentasten.
    Nichts.
    Es war, als wollten seine Hände nicht arbeiten.
    Er tippte einen Satz. Er war flach. Er riss die Seiten heraus und spannte sie wieder ein.
    Er tippte den nächsten Satz. Er war flach. Er tippte noch einen. Er würde ihn weiter ausbauen. Aber die Wörter weigerten sich hartnäckig, an die Stelle zu rücken, an der er sie haben wollte. Es war ein Satz, ja, aber nichts, was in einer überregionalen Zeitung funktionieren würde. Er rief sich die Pyramidenregel des Journalismus ins Gedächtnis: die wichtigste Information in den ersten Satz, im weiteren Verlauf Ausfächern in geringere Bedeutung. Nur wenige Menschen lasen einen Artikel zu Ende.
    Es wollte nicht.
    Um Viertel nach zwölf tauchte Don an seiner Seite auf. »Hast du das Ding schon gepackt?«
    Anthony lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, die Hände unter dem Kinn, einen kleinen Berg zerknülltes Papier auf dem Boden.
    »O’Hare? Bist du fertig?«
    »Ich kann es nicht, Don.« Seine Stimme war heiser vor Fassungslosigkeit.
    »Was?«
    »Ich kann es nicht. Ich kann nicht schreiben. Ich habe es verloren.«
    »Sei nicht albern. Worum geht es? Schreibblockade? Für wen hältst du dich eigentlich – F.Scott Fitzgerald?« Er hob ein Stück Papier auf und strich es auf dem Schreibtisch glatt. Er hob noch eins auf, las es, las es noch einmal. »Du hast viel durchgemacht«, sagte er schließlich. »Du brauchst wahrscheinlich Urlaub.« Er klang wenig überzeugt. Anthony hatte gerade Urlaub gehabt. »Es kommt wieder«, sagte er. »Sag einfach nichts. Nimm es leicht. Ich werde es von Smith umschreiben lassen. Mach dir wegen heute keinen Kopf. Das kommt wieder.«
    Anthony warf seinem Sohn einen Blick zu, der für die Abteilung Todesanzeigen Bleistifte spitzte. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Verantwortung. Zum ersten Mal in seinem
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