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Eine Handvoll Worte

Titel: Eine Handvoll Worte
Autoren: Jojo Moyes
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reden. Sie sieht an ihren verstohlenen Blicken, dass sie das Thema ihrer Unterhaltung sind.
    Er fährt sich mit der Hand durch das helle Haar. »Ellie«, sagt er, »verzeih. Hätte ich gedacht, dass du damit nicht klarkommst, hätte ich mich gar nicht erst darauf eingelassen.«
    Jetzt ist die Wahrheit auf dem Tisch. Das, was sie ein ganzes Jahr lang vor sich selbst verborgen hat.
    »Dann war’s das, ja?« Sie steht auf, um zu gehen. Die Welt ist zusammengebrochen, und sie steigt aus den Trümmern. Immer noch aufrecht. Ohne blutende Wunden. »Du und ich«, sagt sie. »Es ist ironisch, wenn man bedenkt, womit wir unseren Lebensunterhalt verdienen, aber wir haben uns eigentlich nie etwas gesagt.«
    Sie steht vor dem Café, die kalte Luft spannt ihre Haut an, die Gerüche der Stadt steigen ihr in die Nase, und sie zieht ihr Handy aus der Tasche. Sie gibt eine Frage ein, schickt sie ab und überquert die Straße, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie wirft keinen Blick zurück.
    Melissa geht in der Empfangshalle an ihr vorbei, ihre hohen Absätze klappern auf dem polierten Marmorboden, wie es sich gehört. Sie spricht mit dem Sachbearbeiter, unterbricht das Gespräch aber, als sie Ellie sieht. Sie nickt, die Haare hüpfen um ihre Schultern. »Es hat mir gefallen.«
    Ellie atmet aus, dabei war ihr nicht bewusst, dass sie die Luft angehalten hatte.
    Es hat mir gefallen.
    »Ja, sehr sogar. Titelblatt, Sonntag auf Montag. Mehr, bitte.« Dann ist sie im Aufzug, wieder in ihre Unterhaltung vertieft, die Tür schließt sich hinter ihr.
    Die Bibliothek ist leer. Sie drückt die Schwingtür auf und stellt fest, dass nur noch ein paar staubige Regale übrig geblieben sind. Keine Zeitschriften, keine Magazine, keine abgestoßenen Hansard-Bände. Sie lauscht dem Ticken der Heizungsrohre, die an der Decke entlanglaufen, dann klettert sie über die Theke und lässt ihre Tasche auf dem Boden liegen.
    Die erste Kammer, die fast ein Jahrhundert gebundener Ausgaben der Nation enthalten hat, ist vollständig leer, nur zwei Kartons stehen noch in der Ecke. Ellie kommt sich vor wie in einer Höhle. Ihre Schritte hallen auf dem gefliesten Boden wider, während sie sich in die Mitte begibt.
    Der Raum für die Zeitungsausschnitte A bis M ist auch leer, bis auf die Regaleinheiten. Im Licht, das durch die Fenster zwei Meter über dem Boden fällt, glitzern Staubpartikel, als sie sich bewegt. Obwohl hier keine Zeitungen mehr sind, ist die Luft durchtränkt mit dem keksigen Geruch nach altem Papier. In ihrer Fantasie hört sie förmlich den Widerhall vergangener Storys in der Luft, hunderttausend Stimmen, die nicht mehr vernommen werden. Leben, die bewegt, verloren, vom Schicksal verdreht wurden. Verborgen in Aktenordnern, die womöglich weitere hundert Jahre unentdeckt bleiben. Sie fragt sich, welche Anthonys und Jennifers noch in diesen Seiten vergraben sind, deren Leben darauf wartet, durch einen Unfall oder Zufall in Schwung gebracht zu werden. Ein gepolsterter Bürosessel in der Ecke ist mit dem Schild »Digitalarchiv« versehen, sie geht hinüber und dreht ihn hin und her.
    Plötzlich ist sie unendlich müde, als wäre das Adrenalin, das sie in den letzten paar Stunden mit Energie versorgt hat, ausgelaufen. Sie lässt sich in der Wärme und Stille schwer auf den Stuhl fallen, und zum ersten Mal, seit sie denken kann, ist Ellie ruhig. Alles in ihr ist still. Sie atmet lange aus.
    Sie weiß nicht, wie lange sie geschlafen hat, als sie das Klicken der Tür hört.
    Anthony O’Hare hält ihre Tasche hoch. »Gehört die Ihnen?«
    Sie drückt sich hoch, desorientiert und ein wenig schwindelig. Im ersten Moment weiß sie nicht genau, wo sie ist. »O Gott. Verzeihung.« Sie reibt sich das Gesicht.
    »Sie werden hier nicht viel finden«, sagt er und reicht ihr die Tasche. Er nimmt ihr zerknittertes Äußeres wahr, ihre verschlafenen Augen. »Das ist jetzt alles im neuen Gebäude. Ich bin nur zurückgekommen, um die letzten Teesachen zu holen. Und den Stuhl da.«
    »Ja … bequem. Zu gut, um ihn dazulassen … O Gott, wie spät ist es?«
    »Viertel vor elf.«
    »Die Konferenz ist um elf. Mir geht es gut. Konferenz um elf«, brabbelt sie vor sich hin und sieht sich suchend nach nicht existierenden Habseligkeiten um. Dann fällt ihr wieder ein, wo sie ist. Sie versucht, ihre Gedanken zu sammeln, aber sie weiß nicht, wie sie dem Mann sagen soll, was sie ihm mitteilen muss. Verstohlen schaut sie ihn an und sieht hinter dem grauen Haar und den
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