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Eine Handvoll Worte

Titel: Eine Handvoll Worte
Autoren: Jojo Moyes
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seines Sohnes und fragte sich, ob er hineingehen sollte oder ob er alles noch schlimmer machen würde, wenn er seine Traurigkeit zur Kenntnis nahm.
    Sonntags waren sie bei Don eingeladen, wo Viv ihnen einen Braten mit allem Drum und Dran vorsetzte und dann auf gemeinsamen Brettspielen bestand, nachdem sie abgewaschen hatte. Wenn er beobachtete, wie der Junge über ihre Neckerei lächelte, ihr hartnäckiges Drängen, er solle sich anschließen, wie sie ihn in die Arme dieser eigenartigen, erweiterten Familie schloss, wurde Anthony das Herz schwer.
    Als sie in den Wagen stiegen, sah er, dass Phillip, noch als er Viv zuwinkte und ihr Kusshände durch die Windschutzscheibe zuwarf, eine einzelne Träne über die Wange lief. Er packte den Lenker fester, gelähmt von der großen Verantwortung. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Was hatte er Phillip zu bieten, wenn er sich noch immer Stunde um Stunde fragte, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Clarissa überlebt hätte?
    An dem Abend saß er vor dem Kamin und sah im Fernsehen die ersten Bilder der befreiten Geiseln in Stanleyville. Ihre verschwommenen Gestalten tauchten aus einem Militärflugzeug auf und stellten sich auf der Rollbahn zu dichten, unter Schock stehenden Gruppen zusammen. »Erstklassige belgische Truppen brauchten nur wenige Stunden, um die Stadt zu sichern. Es ist noch zu früh für eine genaue Einschätzung der Todesopfer, doch erste Berichte lassen vermuten, dass mindestens hundert Europäer umgekommen sind. Viele weitere werden noch vermisst.«
    Er schaltete den Fernseher aus, wie gebannt von dem Bildschirm, nachdem der weiße Punkt längst verschwunden war. Schließlich ging er nach oben, zögerte kurz vor der Tür seines Sohnes und lauschte dem unmissverständlichen, gedämpften Schluchzen. Es war Viertel nach zehn.
    Anthony schloss die Augen, öffnete sie dann wieder und drückte die Tür auf. Sein Sohn erschrak und schob etwas unter die Bettdecke.
    Anthony machte Licht. »Sohn?«
    Schweigen.
    »Was ist los?«
    »Nichts.« Der Junge fasste sich und wischte sich über das Gesicht. »Mir geht es gut.«
    »Was war das?« Er behielt seine sanfte Stimme bei und setzte sich auf die Bettkante. Phillip war heiß und feucht. Er musste seit Stunden geweint haben. Seine eigene elterliche Unzulänglichkeit erdrückte Anthony.
    »Nichts.«
    »Komm. Lass mich sehen.« Sacht schlug er die Bettdecke zurück. Es war ein kleines, silbern gerahmtes Foto von Clarissa, deren Hände stolz auf den Schultern ihres Sohnes ruhten. Sie strahlte.
    Der Junge schüttelte sich. Anthony legte eine Hand auf das Foto und strich mit dem Daumen die Tränen vom Glas. Ich hoffe, Edgar hat dich so zum Lächeln gebracht, sagte er insgeheim zu ihr. »Das ist ein schönes Foto. Möchtest du, dass wir es unten aufstellen? Auf den Kaminsims vielleicht? Irgendwohin, wo du es nach Belieben betrachten kannst?«
    Er spürte Phillips forschenden Blick auf seinem Gesicht. Vielleicht bereitete er sich auf einen bissigen Kommentar vor, eine Restladung von bösem Blut, doch Anthonys Augen waren verbunden mit der Frau auf dem Foto, ihrem strahlenden Lächeln. Er konnte sie nicht sehen. Er sah Jennifer. Überall sah er sie. Er würde sie immer überall sehen.
    Krieg dich wieder ein, O’Hare.
    Er gab das Foto seinem Sohn zurück. »Weißt du … es ist in Ordnung, traurig zu sein. Wirklich. Du darfst traurig sein, wenn du jemanden verlierst, den du lieb hast.« Er legte großen Wert darauf, das gut hinzubekommen.
    Seine Stimme war brüchig geworden, etwas war aus seinem tiefsten Innern aufgestiegen, und seine Brust schmerzte vor Anstrengung, denn er wollte sich davon nicht überwältigen lassen. »Ich bin nämlich auch traurig«, sagte er. »Furchtbar traurig. Jemanden zu verlieren, den man liebt, ist … tatsächlich unerträglich. Das verstehe ich durchaus.«
    Er zog seinen Sohn an sich, und er murmelte: »Aber ich bin so froh, dass du jetzt hier bist, weil ich glaube … ich glaube, dass wir beide das hier gemeinsam durchstehen. Was meinst du?«
    Phillips Kopf ruhte an seiner Brust, und ein dünner Arm legte sich um seine Hüfte. Er spürte, das der Atem seines Sohnes sich entspannte, und er drückte ihn an sich, während sie still in der Dämmerung beieinander saßen, in ihren Gedanken verloren.
    Ihm war entgangen, dass in der Woche, in der er wieder zur Arbeit gehen sollte, Schulferien waren. Viv sagte spontan, sie wolle Phillip für den zweiten Teil nehmen, müsse aber bis Mittwoch zu ihrer
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