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Eine glückliche Ehe

Eine glückliche Ehe

Titel: Eine glückliche Ehe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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halbe Opernklasse der Musikhochschule fuhr mit ihr.
    Wegener sagte zu allem ja. Samoa war in seinem Bewußtsein zum Beginn des neuen Lebens geworden. Mit Irmi auf Samoa. Und dann – wie ein Wechselbad – sechs Wochen Schneeurlaub im Wallis, darauf der Frühling in Südfrankreich, umweht von Mimosenduft und dem Geruch der blühenden Kräuter der Provence … Man konnte die Jugend nicht mehr zurückholen, aber jetzt, jetzt war es endlich möglich, die letzten zwanzig Jahre voll kindhaften Glücks zu durchwandern, Hand in Hand, wie damals, als Irmi ihn in Friedland abholte, den schmalen, ausgehungerten, hohläugigen Plenny aus Sibirien, der neben ihr hertrappte, sie immer und immer wieder anstarrte und zu sich sagte: Diese Frau wird mein Leben sein! Nur diese Frau! Das schwöre ich!
    Am Morgen des 28. Oktober 1975 – Irmi war schon beim Friseur, er hatte länger geschlafen, auch das war schon der Beginn einer Umstellung seiner Lebensgewohnheiten – holte er aus dem Tresor hinter dem Bild von Gauguin sein letztes Tagebuch – 1974 bis … – und trug in aller Ruhe, wie in den vergangenen siebenundzwanzig Jahren, seine Gedanken und Reflexionen ein, seine Wünsche, Nöte und Erfüllungen. Er schrieb:
    »Am 15. Dezember fahren Irmi und ich nach Samoa. Nächste Woche muß ich es ihr sagen, denn wenn eine Frau eine solche Reise vorbereitet, sind vier Wochen Vorlauf bereits zu knapp. Und ich weiß schon, was sie sagen wird! ›Samoa, warum denn das? Warum so weit? Wegen der halbnackten Mädchen mit ihren Blütenketten? Dicker, da guckt dich keine mehr an, und wenn du den Bauch noch so sehr einziehst! Aber wenn du willst … gut, fliegen wir hin!‹ Wenn du willst … das hat sie nun siebenundzwanzig Jahre lang gesagt. Geduldig, immer bereit: Wenn du willst! – Gott! Ich rede Dich wieder an, obwohl wir keine guten Freunde sind: Womit habe ich eine solche Frau verdient?«
    An diesem Morgen des 28. Oktober rasierte sich Hellmuth Wegener wie immer im Badezimmer vor dem Spiegel, in den Fritzchen Leber eine raffinierte indirekte Flutlichtanlage eingebaut hatte. Man sah dadurch im Spiegel jede Pore, jeden vergessenen Bartstoppel.
    Wegener seifte sich ein – er rasierte sich nur naß, weil seine Haut das elektrische Rasieren nicht vertrug und rote Flecken bekam, setzte den Rasierapparat an und fuhr über seine rechte Gesichtshälfte. Dabei sah er sich kritisch an und stellte verblüfft, ja geradezu magisch angezogen fest, daß seine Augen eine merkwürdige Veränderung durchmachten. Jetzt, genau in diesem Augenblick … er sah es überdeutlich im Spiegel. Sie wurden größer, weiteten sich über die Höhlen hinaus und bekamen eine schreckliche Stumpfheit.
    Der Rasierapparat fiel aus seinen plötzlich matt gewordenen Fingern, irgendwo in seinem Inneren spürte er einen massiven Druck, er sah sein Spiegelbild in die Knie sinken und seinem Blick entschwinden … und dann lag er auf dem griechischen Marmorboden, er war allein, das wußte er, aber doch war jemand da, unsichtbar, der ihm die Kehle zudrückte und die Luft abschnitt, und er war viel zu schwach, um sich wehren zu können, er rührte sich nicht, wußte plötzlich auch nicht mehr, ob er lag oder noch stand, das Bewußtsein für Gleichgewicht verließ ihn, der Druck im Inneren blieb, die würgende Hand löste sich, es war köstlich, so köstlich, wieder tief atmen zu können … und dann wurde alles nebelhaft und unwirklich, und er atmete und atmete und hörte, wie es um ihn herum zu rauschen begann, als habe man eine Schleuse geöffnet …
    »Er starb zwischen 9 ½ und 10 Uhr«, sagte Dr. Bernharts später. »Ein typischer Herzinfarkt. Irmi, so schrecklich es ist, es auszusprechen: Es war ein schöner Tod. Er hat nichts gespürt. Ein Sekundentod.«
    Sie legte das letzte Tagebuchheft auf ihren Schoß und blickte auf den offenen Tresor. Dann lehnte sie sich weit zurück und schloß die Augen. Es regnete nicht mehr. Die Leichenfeier im ›Rosengarten‹ war nun in vollem Gang. Über achthundert Personen, eine Riesenparty zu Ehren eines Toten. Peter nahm die Kondolenzen entgegen, Vanessa Nina ließ die meist geheuchelten Worte der Frauen über sich ergehen. Man würde noch lange von dieser Totenfeier sprechen. So wie Hellmuth Wegener gelebt hatte, so verabschiedete er sich auch.
    Hellmuth Wegener …
    Sie stand auf, packte die Tagebücher wieder zu einem Bündel zusammen und trug sie zurück in den Tresor. Sie verschloß ihn wieder, schob das Bild von Gauguin darüber und
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