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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle
Autoren: Sara Paretsky
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behaupteten. »Er war den ganzen Tag im Garten«, blaffte sie. Und mit Hilfe der Telepathie, die manche Hunde mit ihren Besitzern verbindet, tauchte er jedes Mal, wenn sie die Tür aufmachte, wie durch ein Wunder im Garten auf.
    »Klingt wie ein Problem für das Gesundheitsamt«, sagte Lotty forsch. »Eine alte Frau, allein mit fünf Hunden? Ich ertrage noch nicht einmal den Gedanken an den Gestank.«
    »Ja«, stimmte ich halbherzig zu.
    Lotty bot Michael und seiner Begleiterin, der israelischen Komponistin Or' Nivitsky, Nachtisch an. Michael, der in London lebte, war ein paar Tage in Chicago, um mit dem Chicago Symphony Orchestra ein Konzert zu geben. Heute bestritt er im Auditorium einen Kammermusikabend zugunsten von Chicago Settlement, einem Hilfswerk für Flüchtlinge. Max' Frau Theresz, die vor neun Jahren gestorben war, hatte das Wohlfahrtsprojekt mit viel Hingabe gefördert. Michael hatte das heutige Konzert ihr gewidmet. Or' spielte in dem Kammerkonzert, das sie zum Gedächtnis an Theresz Loewenthal geschrieben hatte, die Oboe.
    Sie wollte keinen Nachtisch. »Premierenfieber. Und außerdem muss ich mich umziehen.« Michael war schon superelegant im Frack, aber Or' hatte ihre Konzertrobe noch nicht an -»Dann kann ich das Essen besser genießen«, hatte sie in ihrem präzisen britischen Englisch gesagt.
    Als Lotty bald darauf hinauseilte, um Or' beim Ankleiden zu helfen, ging Michael das Auto holen. Ich räumte den Tisch ab und setzte Kaffeewasser auf, mit den Gedanken mehr bei Mrs. Frizell als bei Or's Premiere.
    Ein Anwalt in der Nachbarschaft wollte sie gerichtlich dazu zwingen, die Hunde abzuschaffen. Er war bei uns gewesen, hatte versucht, Unterstützung zusammenzutrommeln. Mein Haus war geteilter Meinung - Vinnie, der sture Bankmensch im Erdgeschoss, hatte mit Freuden unterschrieben, ebenso die Koreaner im ersten Stock; sie fürchteten, ihre drei Kinder könnten gebissen werden. Nur Mr. Contreras, Berit Gabrielsen und ich wehrten uns entschieden gegen den Plan. Zwar wünschte ich mir, Mrs. Frizell würde den Labrador kastrieren lassen; eine Bedrohung waren die Hunde aber nicht. Bloß eine Belästigung.
    »Machst du dir Sorgen wegen der Welpen?« Max trat hinter mich, während ich gedankenverloren vor der Spüle stand.
    »Nein, eigentlich nicht. Sie sind ja sowieso bei Mr. Contreras, so dass ich sie nicht auf dem Hals habe. Ich finde es scheuß lich, wenn ich mich dabei ertappe, dass ich über sie genauso ins Säuseln gerate wie er, denn es wird noch ein Albtraum, sie zum Impfen zu schleppen und so weiter. Und dann -ein Zuhause für sie finden, und diejenigen, die wir nicht weggeben können, stubenrein machen - aber sie sind hinreißend.«
    »Wenn du willst, bringe ich einen Hinweis in der Krankenhauszeitung«, bot Max an. Er war der Geschäftsführer vom Beth Israel, dem Krankenhaus, in das Lotty ihre perinatalen Patientinnen schickte.
    Or' schwebte in die Küche, prächtig anzusehen in weichem, kohlenschwarzem Crepe de Chine, der an ihrem Körper klebte wie Ruß. Sie küsste Max auf die Wange und reichte mir die Hand.
    »Schön, dass ich Sie kennengelernt habe, Victoria. Ich hoffe, wir sehen uns nach dem Konzert.«
    »Viel Glück«, sagte ich. »Ich bin sehr gespannt auf Ihr neues Stück.«
    »Ich bin mir sicher, dass du beeindruckt sein wirst, Victoria«, sagte Max. »Ich habe die ganze Woche lang die Proben gehört.« Michael und Or' hatten bei ihm in Evanston gewohnt.
    »Ja, du bist ein Engel, Max, dass du unsere Flucherei und unser Gekreisch sechs Tage lang ausgehalten hast. Bis nachher.«
    Es war erst sechs; das Konzert fing um acht an. Wir drei aßen pochierte Birnen und Mandelcreme und ließen uns beim Kaffeetrinken in Lottys hellem, karg möbliertem Wohnzimmer Zeit.
    »Ich hoffe, Or' hat sich was Genießbares ausgedacht«, sagte Lotty. »Vic und ich waren dabei, als das Kammerensemble für moderne Musik ein Oktett und ein Trio von ihr spielte. Wir sind beide mit Kopfschmerzen nach Hause gegangen.« »Ich habe das Konzert noch nicht am Stück gehört, aber ich glaube, es wird euch gefallen. Sie hat sich bei ihrer Arbeit - wie nur wenige Israelis - mit der Vergangenheit beschäftigt.« Max schaute auf die Uhr. »Ich muss wohl auch Premierenfieber haben, aber ich möchte gern zeitig los.«
    Ich fuhr. Kein vernünftiger Mensch hätte sich von Lotty chauffieren lassen. Max begnügte sich mit dem kleinen Rücksitz, den der Trans Am zu bieten hatte. Er beugte sich nach vorn und unterhielt sich über
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