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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Autoren: László Darvasi
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Nachts in den Tod hinübergehen, wach, doch ohne jedes Gefühl. Wenn du einen Monat nicht geschlafen hast, ist es wie im Wartezimmer des Todes. Irgend etwas tut weh, vielleicht deine Hand, dein Fuß, auch das gehört nicht zu dir, du findest einfach in deinem Körper die Stelle des Schmerzes nicht. Es gab eine Zeit, da stellte ich mir vor, daß mein Atem, die Luft, die ich aus meinem Mund strömen lasse, die sich über dieses Land, über diese Acker verteilt, mir gehört, und daß dadurch alles zu mir gehört, was ich sehe und was ich anspreche oder was vielleicht mich anspricht. Einmal betrachtete ich Obst in einer Schüssel, bis es verdarb. Ich weiß nicht, wie ich das gemacht habe. Es ist mir nie wieder gelungen. Es gab auch einige Frauen. Menschen. Wenn du einen Monat lang nicht schläfst, der Schlaf, ich meine, du hast also das Gefühl, daß das alles nichts mehr mit dir zu tun hat. Ein Leichtes, aber trotzdem nicht leicht. Wenn jemand aufwacht, stirbt vielleicht ein Mensch. Ich glaube nicht an dich, Herr, ich glaube nicht, daß es dich gibt, ich schlafe nicht. Musik erklingt, daß mir die Tränen kommen. Nur Julia Sunce stört. Sie läßt mich nicht sterben. Sie schläft.
    Ich ging öfter spazieren. Weil ich nicht immer bei ihr sein kann. Und als ich zurückkam, schlief ein Hund neben Julia Sunce. Ein struppiger, kleiner Köter. Ein Hund, der sich an sie gekuschelt hatte und hingebungsvoll schlief. Ab und zu knurrte er. Anfangs kümmerte er mich nicht, glaube ich. Ich machte mich im Stall zu schaffen, einen Teil des Pferchs hatte ich in eine Art Zimmer umgewandelt, ich zimmerte einen Holztisch zusammen, der Sitz des Lastwagens war der Stuhl, und ich baute eine Pritsche und ein Regal, denn ich wußte, bald kommt die Kälte, und wer nicht schläft, der friert noch mehr, und ich fror auch schon damals sehr in der Nacht, sechs Wochen hatte ich nicht geschlafen, glaube ich, sechs oder sieben Wochen. Ich hatte das Gefühl, meine Stirn eingebüßt zu haben, und daß die Sonne mir das Hirn verbrennt, daß der Regen mir aufs Hirn prasselt, daß der Wind mir ins Hirn bläst. Der Hund tauchte mal auf, mal blieb er für Tage fort. Lange hat mich das nicht gekümmert. Doch dann übermannte mich plötzlich die Leidenschaft. Fluchend trat ich ihn von Julia Sunce fort. Und es packte mich ein Gefühl, wie schon lange nicht mehr, und ich versuchte mich zu erinnern, was das war, was für ein Gefühl, und es brauchte eine gute halbe Stunde, bis ich darauf kam, daß ich staunte.
    Seit Jahren hatte ich nicht mehr gestaunt.
    Ich staunte, daß ich auf den Hund eifersüchtig geworden war.
    Ich legte mich neben Julia Sunce, auf den Platz des Hundes, der übrigens meinen Platz in Beschlag genommen hatte, und umarmte sie. Ich hielt sie in den Armen. Ich näherte mich ihrem Gesicht und atmete aus ihren sich öffnenden Lippen ihren Atem heraus, Julia Sunce, Julia Sunce, atmete ich in ihren Mund hinein. Ich verstand nicht, warum ihr Körper immer den gleich Duft hatte, auch wenn ich sie gewaschen hatte, verströmte sie immer den gleichen Duft. Unveränderlich dieser süße, etwas bittere Geruch. Der Duft des Schlafs? Ich weiß nicht. Er tat gut, mehr und mehr. Ich schlief nicht. Eine Musik erklang, daß mir die Tränen kamen.
    Anderntags kam das Tier zurück. Es saß vor Julia Sunce und beobachtete sie mit seinen schwarzen Knopfaugen. Manchmal schlug es leise an. Ich aber sagte Stranac zu ihm. Ich gab ihm einen Namen, um ihn hassen zu können.
    Dein Name ist Stranac, du Hund, sagte ich zu ihm. Er sah mich an, duckte den Kopf und trabte davon. Ein heimtückischer Köter, dieser Stranac, das war es, was ich dachte, glaube ich. In der Nacht bemerkte ich, daß er zurückgekommen war, daß er wieder da war, bei uns. Er störte mich bereits so sehr, daß ich nicht einmal mehr Julia Sunce sagen konnte. Stranac, du Mistvieh. Wenn ich aß, schaute er. Wenn ich mich wusch, schaute er. Auch wenn ich mich erleichterte, schaute er. Ich hatte an die zwei Monate nicht mehr geschlafen, und es war Herbst und ich fror immer mehr.
    Stranac, sagte ich eines Morgens zu dem Hund, ich bringe dich um.
    Er bellte kurz und trabte in die Büsche, schaute aber noch einmal zurück. Plötzlich riß ich das Gewehr hoch und schoß ihm hinterher. Es wurde still.
    Julia Sunce, sagte ich zu dem Mädchen, das schlief. Endlich konnte ich es wieder aussprechen, Julia Sunce. Ich saß da und rauchte. Ich schlug Nägel ein, hämmerte, zerlegte den Lastwagen. Am Nachmittag kam
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