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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Autoren: László Darvasi
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lebte jemand. Ich konnte ihn nicht gleich finden. Käfer summten vor meinem Gesicht, und es war, als hörte ich jedes Summen einzeln.
    Sie lag mitten in der Scheune. Zuerst dachte ich, sie wäre tot. Sie lag auf dem Rücken, die Arme eng am Rumpf. Vielleicht habe ich irgendwas gesagt, he, Sie da, stehen Sie auf, wird’s bald, irgend so etwas. Es kann aber auch sein, daß ich nichts gesagt habe, nur etwas sagen wollte. Ich stieß sie mit dem Stiefel in die Seite. Ich weiß nicht. Oder ich näherte mich ihr und sah den Strohhalm vor ihrem Mund, wie er sich bog, sich hob und senkte, das verriet mir, daß sie lebte. Sie hatte starke Backenknochen und einen kräftigen Mund. Alles war ein wenig zu groß an ihrem Gesicht, auch geschlossen wirkten ihre Augen riesig, ein verdeckter, mächtiger Blick, dachte ich, und natürlich ihre Nase, ihre Brauen, ihre Ohrläppchen.
    Ich saß neben ihr und betrachtete sie.
    Eine Frau, eine schlafende Frau, und ich hatte schon fünf Tage nicht geschlafen.
    Ich glaube, ich berührte ihre Schulter, aber sie reagierte nicht. Dann lief ich unschlüssig um sie herum, man müßte sie doch aufwecken, ich kratzte mich am Kopf, schrie sie an, glaube ich, vielleicht habe ich ihr ins Ohr geflüstert. Aber sie rührte sich nicht. Sie hörte mich nicht, schlief einfach fest weiter. Ich faßte sie unter und setzte sie auf, in dieser Haltung blieb sie, um dann langsam wieder aufs Stroh zurückzusinken. Als ich meinen Arm unter sie schob, berührte ich ihre Brust. Auch ihre Brust war groß, eine schlafende Frau, an der alles groß, an der alles zuviel ist und die man nicht aufwecken kann. Was ist das, was soll das. Fünf Tage habe ich nicht mehr geschlafen. Ich glaube, ich wurde wütend, oder eher nur gereizt, ich weiß nicht, jedenfalls schüttete ich ihr aus meiner Trinkflasche ein wenig Wasser ins Gesicht. Sie bewegte sich nicht, nur der Strohhalm blieb an ihrem Mund kleben, sie schlief weiter. Dann dachte ich, sie wäre krank. Das ist nicht normal, wenn jemand nicht aufwachen kann, wie es natürlich auch nicht normal ist, wenn einer absolut nicht schlafen kann, wie zum Beispiel ich, der ich jede Nacht nur im Gras sitze, an eine verfallene Hauswand oder den Stamm einer knorrigen Eiche gelehnt, und rauche, höchstens gehe ich ein bißchen herum, lege mich hin und schiebe die Arme unter den Kopf oder … egal, ich weiß nicht, unwichtig. Dann kam mir, glaube ich, der Gedanke, daß wir beide krank sind, sie, weil sie schläft und nicht aufwachen kann, und ich, weil ich ohne Unterbrechung wach bin und nicht schlafen kann. Wessen Zustand wohl ernster ist?
    Ob wir einander helfen können?
    Es war Vormittag, als ich sie fand, und am Nachmittag sprach ich sie, glaube ich, zum ersten Mal an.
    Wie heißt du, fragte ich.
    Der Strohhalm an ihrem Mund war getrocknet. Sie sagte nichts, gab keine Antwort. Es macht mich unruhig, wenn die Dinge keinen Namen haben. Selbst ein schlechter, mißratener Name ist besser als die Namenlosigkeit. Deshalb beschloß ich, ihr einen Namen zu geben, weil ich sie irgendwie anreden mußte, auch wenn ich so gut wie keine Chance hatte, den Namen zu erraten, bei dem diejenigen sie genannt haben, die sie kannten. Ich hatte keine Chance, trotzdem dachte ich lange nach, das ist die Wahrheit. Oder vielmehr, ich glaube es. Eine komplizierte Sache, etwas benennen zu wollen, erst recht wenn es sich um eine schlafende Frau handelt. Der Name soll ihr ja kein Unheil bringen. Schließlich sagte ich Julia Sunce zu ihr. Ich sagte ihr, daß meiner Meinung nach dieser Name der beste von allen sei, die mir eingefallen wären, und daß ich sehr hoffe, sie damit nicht zu kränken.
    Von nun an werde ich sie Julia Sunce nennen.
    Am nächsten Tag sah ich, daß sie träumte. Das freute mich, denn wer träumt, lebt zum Beispiel stärker als einer, den die Träume meiden, so dachte ich wenigstens. Die Geschehnisse des Traumes spiegelten sich in ihrem Gesicht, wie ihre Wimpern zuckten und unter der Haut eine unruhige Welle hindurchlief. Ihre Lippen öffneten sich, als wollte sie schreien. Auch ihre Hände träumten. Sie machte eine zögernde Bewegung, in der etwas wie Abwehr, Leidenschaft, Weigerung lag. Das hatte ich nicht gewußt. Daß auch die Haut, die Hände, der Brustkorb und der Atem träumen. Plötzlich sog sie die Luft tiefer ein, und im nächsten Moment beruhigte sie sich. Sie atmete wieder gleichmäßig. Ich saß neben ihr, sah ihr ins Gesicht und rauchte. Da hatte ich, glaube ich, schon sechs Tage
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