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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Autoren: László Darvasi
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Sie niederschieße«, sagte er.
    Ich lächelte, dabei hatte ich Angst, glaube ich. Ich bückte mich und zog ächzend, immer wieder ausrutschend, das Steinkreuz aus dem Dreck. Misthalme, Scheiße bedeckten das Gesicht des steinernen Jesus. Popačka wankte vor und zurück. Er dachte tatsächlich ernsthaft daran, mich niederzuschießen. Ich weiß nicht. Vielleicht hätte er es getan, wäre nicht plötzlich Bekičev gekommen, wäre er nicht unerwartet aufgetaucht, hätte er nicht das Holzkreuz der Siedlungsbewohner hinter sich hergezogen. Keuchend blieb er hinter Popačka stehen. Er warf das Kreuz zu Boden und nahm den Sack vom Rücken. Popačka drehte sich um, und ich spürte, daß er Bekičev anlächelte.
    »Du willst, daß ich wieder gehe, Bekičev?«
    »Ja«, sagte jener. Popačka stand eine Weile da, brummte, rieb sich das Gesicht. Er glich Jesus Partisan. Es war, als würde ich mich selbst sehen. Ich glaube, daß Bekičev einen ganz ähnlichen Eindruck hatte.
    »Schließen wir einen Bund«, sagte ich.
    »Schließen wir einen Bund«, sagte Bekičev.
    Popačka zog sich langsam aus. Er war ein magerer, sehniger, altersloser Mann. Er legte sich auf das Holzkreuz. Bekičev holte Nägel und Hammer aus seinem Sack. Popačka muckste sich nicht. Nur einmal gab er etwas von sich, da nagelte Bekičev bereits seine Füße.
    »Sie werden Sie umbringen.«
    »Ich scheiße auf sie«, sagte Bekičev vor dem letzten Hammerschlag. Er half mir noch, Popačka in die Grube zu legen und die Scheiße zurückzuschaufeln. Das Steinkreuz trugen wir in die Siedlung und stellten es an seinem alten Platz auf. Kein Hund bellte, und der Wind ruhte wie unter einer Decke. Es kommt vor, daß die Nacht größer ist als der Himmel. Bekičev zündete sich die Zigarette an, die ich ihm vor ein paar Tagen gegeben hatte.
    »Hier warte ich auf sie«, sagte er, an das Kreuz gelehnt.
    17.
    Eva Rajnak schlief, ihre Hand lag auf dem Bauch. Ich blieb dicht vor ihr stehen und wartete, bis sie die Augen öffnete. »Er war hier, nicht wahr?«
    »Ja, er war hier«, nickte ich.
    »Hat er Ihnen etwas getan?«
    »Er ist fort.«
    »Er kommt nicht zurück?«
    »Nie mehr.«
    »Wie Sie stinken«, sagte sie, doch ohne die Nase zu rümpfen.
    »Ich habe Scheiße geschaufelt, Eva Rajnak.«
    »Haben Sie sich eingemischt? Haben Sie nicht gesagt, daß Sie nur Dokumentar sind?«
    »Zieh dich aus«, sagte ich zu ihr.
    »Zuerst sollte ich das Kind zur Welt bringen«, sagte sie achselzuckend, eher nachdenklich als vorwurfsvoll. Sie rührte sich nicht. Ihre weiße Hand leuchtete im Dunkeln. Sie ruhte immer noch auf ihrem Bauch.
    »Zieh dich aus«, wiederholte ich.
    Sie blickte auf.
    »Warum?«
    »Weil ich dich liebe«, sagte ich, während ich meine Hose öffnete.
    »Ich liebe dich, Eva Rajnak«, sagte ich.
    »Ich liebe dich, Eva Rajnak«, sagte Baum.
    Am Fuß des Steinkreuzes versetzten die Siedlungsbewohner Bekičev die ersten Schläge, ich aber hörte sogar im Körper des Mädchens, durch ihr unterdrücktes Keuchen und das Todesröcheln Bekičevs hindurch, wie über unseren Feldern das Johannisbrot raschelt, raschelt, raschelt.

Julia Sunce
    Schon fünf Tage hatte ich nicht geschlafen. Von Westen war ich quer durchs Land gezogen. Es war Spätsommer, die erste Septemberwoche, ein Freitag, glaube ich, oder doch eher Samstag. Ich saß da und rauchte, in den von leisen Geräuschen erfüllten, windigen Nächten. Aber meine Müdigkeit wurde nicht größer und der Reisesack nicht schwerer, ich durchquerte einfach nur das Land, als ginge ich über den Acker meines Nachbarn. Meine Hand, mein Fuß, meine Stirn lebten ihr eigenes Leben, meine Glieder kannten einander nicht mehr. Vielleicht hatte ich schon fünf Tage nicht mehr geschlafen. Ich dachte, ich werde sterben. Ich hatte kein Mitleid mit mir, es war egal. Irgendwo hinter Jakulevo stieß ich auf den Stall, sie mußten hier Pferde und Rinder gehalten haben, einige Pferche standen noch, die anderen hatten sie abgerissen, fortgeschafft und verheizt, aber den Auslauf mit den zahnlückigen Trümmern der weißgestrichenen Einzäunung ringsum, den gab es noch. Ich fand im Hof ein Brunnenloch mit Betonrand, doch der Blecheimer hatte keinen Boden. Auf dem Fahrweg, der in den Wald führte, rottete ein umgestürzter Lastwagen vor sich hin, seine abgerissene Plane flatterte im Wind. Es war Freitag oder Samstag. Im Stall hing ein fremder Geruch, lange wußte ich nicht, was für einer, bis ich merkte, daß es natürlich Menschengeruch war. Hier
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