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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Autoren: László Darvasi
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Stranac zurück. Er blutete. Ich hatte ihn am Morgen in die Flanke geschossen, er war blutüberströmt und schleppte sich mühsam heran.
    Stranac, sagte ich zu ihm, worauf er haltmachte und mich ansah.
    Selbst jetzt schaute er. Und vielleicht bellte er, winselte er, ich weiß nicht, aber er setzte sich wieder in Bewegung und schleppte sich an mir vorbei, als wäre ich gar nicht da, zu Julia Sunce hinein, und legte sich neben sie.
    Stranac ist krank, sagte ich zu Julia Sunce, die schlief.
    Am nächsten Morgen war er tot. Ich lud ihn auf die Schaufel, trug ihn vor die Scheune und verscharrte ihn.
    Ich liebe dich, Julia Sunce, sagte ich zu dem Mädchen und steckte mir eine an. Es war Spätherbst. Ringsum auf den Feldern der gelbe, braune Blätterteppich und das Rascheln, Rappeln, wenn der Wind am Werk ist. Einmal habe ich den Ausdruck gehört, daß die Zeit dahinzieht. Nun wußte ich, wie das ist, das Dahinziehen der Zeit, zwei Monate hatte ich nicht geschlafen, mindestens zwei, glaube ich. In einer Nacht hatte es bereits Frost gegeben.
    Ich überlegte, ob ich Julia Sunce töten sollte. Ich dachte, daß ich ohnehin fortgehen mußte von hier, daß ich eines Tages weiterziehen würde, oder Leute würden kommen, viele Leute, die stärker sind als ich und mich vertreiben, und ich kann Julia Sunce nicht mitnehmen, wie denn auch, das ist unmöglich, und jene, die mich vertreiben oder einfach nur gefangennehmen, erschießen, nun, auch die werden sie finden, und Julia Sunce wird ihnen gehören, oder sie töten sie, es könnte aber auch sein, daß sie sie gut behandeln, verwöhnen, alles Mögliche kann ihr geschehen, aber wenn ich nicht mehr bei ihr bin, wird sie mit Sicherheit nicht mehr Julia Sunce genannt. Wenn ich sie töte, gehört sie mir. Julia Sunce schlief, und ich habe schon zehn Wochen nicht mehr geschlafen. Oder elf. Ich weiß es nicht. Und was ich bis dahin überhaupt nicht empfunden hatte, plötzlich überfiel mich unwiderstehlich die Angst. Ich wußte noch nicht genau, wovor ich Angst hatte, aber manchmal mußte ich im Hof stehenbleiben, der Schweiß trat mir auf die Stirn, und mit einemmal wußte ich, daß mir die Hand weh tat. Meine Hand tat mir weh! Ganz unerwartet überkam mich dieses Gefühl, in dem ich mich wieder als Ganzes empfand, mein Fuß kannte meine Hand, mein Gesicht wußte von meinen Lenden, und wenn mir etwas weh tat, kannte ich die Stelle des Schmerzes. Manchmal trat ich vor den Stall hinaus und brüllte. Ich weiß nicht, vielleicht hatte ich irgendwo gelesen, daß der Schrei nur in einer erschaffenen Welt Sinn hat, und wenn es keinen Schöpfer gibt, ist es überflüssig, durch Schreien auf sich aufmerksam zu machen, ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Man kann nur zu Gott schreien?! Ich glaube, wenn ich schreie, rufe ich nicht Gott. Ich schreie, weil diese Musik erklingt. Und weil ich nicht schlafe. Und weil Julia Sunce schläft. Wenn ich zu Gott spreche, gebe ich keinen Ton von mir.
    Julia Sunce, schrie ich draußen auf dem Hof.
    Julia Sunce, Julia Sunce!
    Aber sie schlief, ich weiß nicht, seit wann, und ich war wach, seit vier Monaten, vielleicht, glaube ich. Ich machte alles instinktiv. Und alles tat mir weh, und dennoch war es gut. Ein paar Minuten vom Stall entfernt entdeckte ich eine Anhöhe, von wo aus ich die Landschaft überblicken konnte, die entkleideten Wälder, das sich schlängelnde Band eines schmutzigblauen Flusses, auf die Wiesen geworfene Schneeflecken, eingeäscherte Gutshöfe, ich sah das und nannte es Milenka Carica. Neben dem Stall fand ich eine englische Konservendose und nannte sie Herr Major Oxford, und manchmal schoß ich hinein. Südlich vom Stall zeichnete sich groß wie ein Haus ein dunkler Grabhügel ab, frisch aufgeworfen, kaum ein Jahr alt, noch nicht einmal von Gras überwachsen. Du bist Jakulevo, sagte ich zu ihm. Mein Gewehr nannte ich Anna-Mária Mohács. Manchmal trug uns der Wind Glockengeläut zu, ach, ich grüße Sie, liebe Vera Domitun, nickte ich. Es gab einen Ziegenbock, ein zahmes, doch scheues Tier, das manchmal aus dem Wald kam, voller Schlamm, ich tat ihm nie etwas. Du bist Emil Arbanassi, sagte ich zu ihm. Und so weiter. Ich gab Namen, womit ich natürlich Namen wegnahm, und ich schlief auch weiterhin nicht. Es war Winter, ich weiß nicht, wie lange ich schon nicht geschlafen hatte, wirbelnd fiel der Schnee, aus dem Wind wurde Eis, und wie die Äste in der Dunkelheit zittern. Bis ich eines Tages dachte, wie schlimm es doch ist, daß ich nicht
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