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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang
Autoren: Norbert Gstrein
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Sturzhelmen da, als würden sie sich beim kleinsten Hinweis, nicht willkommen zu sein, augenblicklich aus dem Staub machen. Es war ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch, mehr als dreißig Grad im Schatten, Hitzegeflirr über den Wiesen, Grillengezirp, und ich wusste da noch nicht, dass Judith, mit der sie in den letzten Schulwochen fast jeden Nachmittag im Schwimmbad verbracht hatten, mit ihrem Freund nach Italien gefahren war.
    Sie blieben den ganzen Tag bei mir am Fluss, und es war nicht Daniel, es war Christoph, der sich nach meinem Bruder erkundigte. Wir saßen zuerst auf der Steintreppe, die zu der Mühle hinaufführt, und tranken aus den von ihnen mitgebrachten Pappbechern den Wein. Lange Zeit sprach keiner, und wir lauschten nur auf das Rauschen des Flusses und das Geräusch der Züge vom anderen Ufer, wo leicht erhöht auf einer Böschung die Bahntrasse verläuft. Dann gingen wir hinunter, an den Gumpen vorbei, den fauligen Tümpeln vom letzten Hochwasser, und an den gelben Schildern, die vor einer Flutwelle warnen, ganz hinaus auf die Schotterbank, wo man ein Gefühl für die erstaunliche Weite des Flussbetts bekommt. Ich erinnere mich nicht, ob Christoph davor schon etwas in diese Richtung angedeutet hatte, aber als er mich fragte, ob es hier irgendwo gewesen sei, wusste ich gleich, was er meinte, und sagte nur ja. Darauf schwiegen wir wieder und schauten über das Wasser, wobei ich den Eindruck hatte, ich bräuchte nur lange genug auf eine Stelle zu starren und es würde sich in der nächsten Sekunde dort kräuseln.
    Es war alles so unspektakulär, wie ich es niederschreibe, und doch muss an dem Tag etwas geschehen sein, vielleicht mit der Frage und meiner Antwort, etwas, das sie sich von da an für mich zuständig fühlen oder jedenfalls meine Nähe suchen ließ. Sie kamen auch am Tag darauf wieder, noch einen Tag später wartete ich bereits auf das Geräusch des sich nähernden Mopeds, und nach ein paar weiteren untätigen Tagen, in denen wir nur in der Sonne saßen, lasen und sprachen und manchmal zum Fluss hinuntergingen, um die nackten Füße einzutauchen oder ein paar Züge in dem selbst mitten im Sommer eiskalten Wasser zu schwimmen, schlugen sie vor, die Mühle herzurichten, dass sie bewohnbar wäre. Es war ein Spleen, gab es doch keinen Strom- und keinen Wasseranschluss, geschweige eine Genehmigung, auf dem Grundstück zu bauen, aber sie hörten nicht auf meine skeptischen Einwände, begannen gleich mit der Arbeit, und ich ließ sie gewähren. Sie liehen sich bei Christophs Vater einen Pritschenwagen, fuhren, soweit sie damit kamen, und schafften dann mit einer Schubkarre das Baumaterial heran, das sie auf dem Gelände von seiner Holzfabrik »organisiert« hatten. Ich sah zu, wie sie Bretter stapelten, wie sie Zementsäcke abluden, wie sie mehrere Rollen Dachpappe an einen Baum lehnten, und dann stand eines Tages die Veranda, von der aus man diesen Blick in die flirrendste Unwirklichkeit hat, waren die Mauern ausgebessert, notdürftig Fenster eingesetzt, eines zum Fluss, eines neben der Tür, die an zwei Lederschlaufen in den Angeln hing, und sie hatten aus rohen Brettern ein Dach gezimmert und es wind- und wetterfest gemacht. Es war nicht viel mehr als ein komfortabler Unterschlupf für Kinder bei ihren Spielen im Freien, und von einem Haus konnte natürlich immer noch nicht die Rede sein, auch wenn wir es so nannten, aber es war zumindest ein Ort geworden, an dem man bei Regen trocken blieb, und es endete damit, dass sie in einem der beiden Räume eine Petroleumlampe aufhängten und unaufhörlich davon redeten, wozu ein solches Versteck einmal gut sein könne.
    Ich weiß nicht, ob sich die Spaziergänger zuerst nur über die Bauarbeiten wunderten oder ob es nicht doch von Anfang an die Tatsache dieser merkwürdigen Gemeinschaft war, die wir bildeten. Zwar gab es weiter flussaufwärts eine Badestelle, aber mir war bewusst, dass wir auffielen, wenn wir am Nachmittag in kurzen Hosen auf der Schotterbank lagen, uns im Dreieck einen Ball zuwarfen oder um ein Feuer saßen und warteten, bis das Fleisch gar wurde, das wir an zugespitzten Zweigen in die Flammen hielten. Auch kann ich nicht sagen, wann ich darauf aufmerksam wurde, dass die scheinbar zufällig in unserer Nähe Auftauchenden vielleicht doch nicht ganz zufällig da waren, aber als einmal ein paar Jungen vom Sportplatz herabkamen, Zehn- oder Zwölfjährige in grasgrünen Trainingshosen und weißen Leibchen, und in einiger Entfernung
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