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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang
Autoren: Norbert Gstrein
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stehenblieben, bis einer vortrat und etwas Unverständliches zu uns herüberrief, worauf alle lachten, ahnte ich, dass wir zum Ortsgespräch geworden waren. Sie wirkten nicht unmittelbar aggressiv, aber einer hob einen Stein vom Boden auf, hielt ihn hoch gegen die Sonne, als sollten wir ihn deutlich sehen, und warf ihn in unsere Richtung. Es war kein gezielter Wurf, eher eine Geste, die wir als Spiel nehmen konnten, und doch hing damit eine Drohung in der Luft, die nicht geringer wurde, als die Bande unter Gelächter wieder verschwand.
    Das bestätigte mir prompt der Direktor des Gymnasiums, der mich eines Abends anrief und sich erkundigte, ob mit mir alles in Ordnung sei. Es waren Ferien, und ich hatte keine Lust, mit ihm zu reden, aber er war es gewesen, der mir geholfen hatte, die Stelle in Istanbul zu bekommen, als ich nach dem Tod meines Bruders zu ihm gesagt hatte, es sei wohl am besten, wenn ich eine Weile aus der Gegend wegginge, er war es gewesen, der mir beim kleinsten Zeichen, ich könnte es mir anders überlegt haben, anbot, mich sofort zurückzuholen, und ich war immer noch gerührt, wenn ich daran dachte, wie er mich mit einer kleinen Abordnung von Kollegen besuchen kam, gleich im ersten Herbst, und mich dann die ganze Zeit unauffällig beobachtet hatte, während ich die Gruppe brav von einer Sehenswürdigkeit zur anderen führte, mit ihnen die Hagia Sophia, die Blaue Moschee und den Topkapı-Palast anschaute und mühsam zu kaschieren versuchte, dass ich außer dem Weg von meiner Wohnung zur Arbeit noch kaum etwas von der Stadt kannte. Er hatte auch seither seine schützende Hand über mich gehalten, und wenn ich alle paar Monate zu ihm nach Hause zum Abendessen eingeladen wurde, entging mir dieser Aspekt natürlich nicht. Ich fragte mich dann immer, ob ihm einer von den anderen Lehrern gesagt hatte, ich begänne wieder, mich zurückzuziehen, ob er gehört hatte, man sehe mich in letzter Zeit etwas viel im Bruckner, oder ob es gar kein Alarmsignal brauchte und es nur eine routinemäßige Kontrolle war. Zugegeben, auf Dauer strengte mich das an, und doch ging ich jedesmal brav hin, mit einer Flasche Wein und Blumen für seine Frau. Ich mochte ihn, mochte, wie ich von ihm empfangen wurde, ein wenig steif, aber immer mit einem Schulterklopfen, halb von Mann zu Mann, aber halb auch so, dass es mich zu einem Jungen machte, und ich mochte seine Frau, die sagte, er solle mich doch erst hereinkommen lassen, wenn er mich gleich in ein Gespräch verwickelte, mochte die Herzlichkeit ihres Tadelns und mochte, wie sie ihn Karl nannte, weil das für mich ein Kindheitsname war, der mir ein absurdes und ganz und gar nicht gerechtfertigtes Vertrauen einflößte, ein Name aus einer Welt, in der nichts passieren konnte oder in der es, wenn doch etwas passiert war, einen gab, der alles wieder heil machen würde.
    Ich nannte ihn natürlich nicht so, weil er für mich trotz aller Vertraulichkeit Herr Aschberner blieb und immer bleiben würde, obwohl er mich duzte und ich mich mit Umschreibungen behalf, um es ihm nicht gleichtun zu müssen.
    »Wenn es stimmt, was ich höre, bist du viel draußen am Fluss«, sagte er jetzt, und seine Stimme klang besorgt. »Du sagst mir, wenn ich etwas für dich tun kann.«
    Er hatte meinen Vater gekannt, vielleicht war es das, vielleicht lag es an seinem früh verstorbenen Sohn, über den er nie sprach, aber vielleicht brauchte es auch gar keine weitere Begründung, um sich um mich zu kümmern.
    »Wolltest du nicht verreisen?«
    Er hatte mich am letzten Schultag zu sich kommen lassen und gefragt, was ich für die Ferien plante, und ich hatte gesagt, ich wisse noch nicht, wohin, aber ich würde wegfahren, obwohl ich da schon angefangen hatte, an den Fluss hinauszupilgern, und nicht einmal denken wollte, ich könnte meine Tage in absehbarer Zukunft anders verbringen.
    »Ich habe es mir noch einmal überlegt«, sagte ich. »Außerdem bleiben ja fast vier Wochen, bis der Unterricht wieder beginnt.«
    Von ihm kam nur ein unwilliges Brummen, und ich stellte mir vor, dass seine Frau hinter ihm stand und ihm jetzt auf die Schulter tippte und etwas ins Ohr flüsterte.
    »Und die beiden Buben?«
    »Was soll mit ihnen sein?«
    »Du kennst doch die Leute.«
    Er war ein diskreter Mensch, und ich vertraute darauf, dass er im richtigen Augenblick abbrechen würde, aber er redete einfach weiter.
    »Man zerreißt sich den Mund darüber«, sagte er. »Sie sind zwar nicht mehr deine Schüler, aber es ist nicht
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