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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang
Autoren: Norbert Gstrein
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Mal den Satz zu begreifen glaubte, nach dem man sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorzustellen habe, weil ich mich bei dem Wunsch ertappte, jemand möge hinter mir alles rückgängig machen. Dann könnte ich von vorn beginnen, oder ich würde mein Sammeln und Jäten über die Grenzen meines Grundstücks auf die umliegenden Felder und die Au ausdehnen und mich langsam bis zum Dorf und über das Dorf hinaus bewegen. Ich hatte vorher die weniger erfreulichen Dinge getan, den Müll zwischen den Mauerresten beseitigt, Bier- und Colaflaschen, Glasscherben, Stanniolpapier, einen alten Schuh, zwei zerbrochene Federballschläger ohne Bespannung, und aus den Ecken den Kot, menschlichen Kot, tierischen Kot, ich wusste es nicht. Ich hatte die halb verkohlten Baumstrünke aus einer offenbar wiederholt genützten Feuerstelle zum Wasser getragen, sie hineingeworfen und zugeschaut, wie sie träge schaukelnd davontrieben, in einen Wirbel gerieten und dann von der kräftigen Strömung in der Flussmitte erfasst und mitgerissen wurden. Einen halben Nachmittag lang beschäftigte ich mich damit, den letzten wie ein Findling daliegenden Brocken wegzurollen, aber nach den ersten drei Umwälzungen, bei denen ich ihn mit aller Mühe hochgestemmt und über seinen Schwerpunkt gedreht hatte, gab ich es keuchend und schwitzend auf und ließ ihn keine drei Meter von der Ausgangsstelle entfernt liegen, an der eine Weile ein Oval von frischem Erdreich feucht in der Sonne glänzte, bevor es nach und nach vernarbte.
    Es war gegen Ende der zweiten Ferienwoche, und ich hatte gerade angefangen, aus den gesammelten Steinen eine Umfriedungsmauer zu errichten, als Daniel und sein Freund Christoph bei mir auftauchten. Ich hatte schon lange das Knattern eines Mopeds gehört, das den Fluss entlang lauter wurde, mich aber nicht darum gekümmert, weil es nicht das erste Mal war und ich in den vergangenen Tagen immer wieder vom nahen Sportplatz in der Au Motorenlärm in den Ohren gehabt hatte. Mit Besuch rechnete ich nicht, und sie mussten bereits eine Zeitlang dagestanden sein, als ich auf sie aufmerksam wurde, denn plötzlich schienen alle anderen Geräusche zu verstummen, und das Rauschen des Flusses unterstrich die Stille. Ich richtete mich auf, und sie waren nur wenige Meter entfernt und sahen mir zu. Sie warteten, bis ich ganz zu ihnen herantrat, und mir fiel erst im nachhinein auf, dass ich mit dem Stück Ast, das ich in die Hand genommen hatte, und mit meiner Einsilbigkeit nicht sehr einladend gewirkt haben konnte. Wir sprachen kurz miteinander, bevor sie wieder verschwanden, und als sie am nächsten Tag von neuem erschienen, eine Flasche Wein dabeihatten und fragten, ob sie sich zu mir setzen dürften, nahm die Geschichte ihren Anfang, die sich in den Vorstellungen der Dorfbewohner zu einer Ungeheuerlichkeit auswuchs.
    Da war es gerade zwei Jahre her, dass ich die Mühle mit dem Grundstück gekauft hatte, und zwei weitere Jahre, dass ich aus Istanbul zurück war, wo ich zwei Jahre, noch einmal zwei, an der Österreichischen Schule unterrichtet hatte. Zwei plus zwei plus zwei, also sechs Jahre zusammen, seit Robert an einem Sonntagmorgen zum Fluss hinuntergegangen war und sich den Lauf des Gewehrs, das er aus dem Schützenverein mitgenommen haben musste, in den Mund gesteckt und abgedrückt hatte. Ich erzähle das, weil mich die beiden danach fragten und weil sie in all der Zeit die ersten waren, die es wagten oder überhaupt nur daran dachten, es zu wagen.
    Dabei wunderte ich mich zuerst, dass sie überhaupt wiederkamen. Ich hatte geglaubt, ihnen deutlich gezeigt zu haben, dass ich allein sein wollte und keinen Wert auf Gesellschaft legte, und trat ihnen diesmal schon entgegen, als ich das Geräusch des Mopeds in der Ferne nur ahnte. Es ist merkwürdig mit der Akustik am Fluss, man hört manchmal, was man nach den Gesetzen der Physik nicht hören kann, Stimmen, die vom Wind zuzeiten wie aus einer anderen Welt herangetragen werden, das Gemurmel einer Prozession oder das Gebimmel der Glocken von den in der Au weidenden Kühen, als wäre es Himmelsgeklingel, aber ich ließ mich davon genausowenig irritieren wie von dem Motorenlärm. Auf alles vorbereitet, sah ich, wie die beiden sich näherten, auf dem moosbedeckten Waldweg so langsam daherkurvten, als müssten sie Schlaglöchern oder Regenlachen ausweichen und könnten jeden Augenblick das Gleichgewicht verlieren. Am Tag davor hatte ich sie gar nicht gefragt, ob sie zufällig auf mich gestoßen waren
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