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Eine Ahnung vom Anfang

Titel: Eine Ahnung vom Anfang
Autoren: Norbert Gstrein
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Spiel, und als sie sich im Weggehen nach mir umwandte, wusste ich, ich würde ihr vertrauen können, auch sie würde nichts ausplaudern, allein schon weil sie das Ganze nicht ernst nahm. Sie trug die Arbeitskleidung, die sie all die Jahre getragen hatte, einen schwarzen Rock, eine weiße Bluse, und ich dachte blödsinnigerweise, dass ihr das etwas Verlässliches gab. Trotzdem überlegte ich, ob ich sie nicht doch ausdrücklich bitten sollte, das Gespräch zu vergessen, aber als sie nach wenigen Minuten mit leicht geröteten Wangen zurückkam, beruhigte mich gerade, dass sie den Faden genau dort wiederaufnahm, wo wir unterbrochen worden waren.
    »Dein bester Schüler also«, sagte sie, als wollte sie alles in einem Wort zusammenfassen. »Sollte er es am Ende doch noch zu etwas gebracht haben?«
    Mit einem solchen Sarkasmus hatte sie sonst nicht über ihn gesprochen, und ich weiß noch, dass auch sie mich dann von einem Augenblick auf den anderen nach dem Haus fragte.
    »Fährst du manchmal hinaus?«
    Ich schüttelte den Kopf, und sie verwendete das Wort »Refugium«, als sie sagte, Daniel habe es einmal als sein eigentliches Zuhause bezeichnet.
    »Ich erinnere mich, wie er von den Tagen geschwärmt hat, die ihr zusammen draußen am Fluss verbracht habt. Er hat dich den wichtigsten Menschen in seinem Leben genannt. Ihr müsst euch sehr nahe gewesen sein.«
    Damit wollte sie gewiss keine Anspielung machen, aber ich sah sie alarmiert an. Damals hatte die ganze Stadt davon gemunkelt, und es fanden schnell die ersten Spaziergänger den Weg zu uns hinaus, die gehört hatten, dass ein Lehrer mit zweien seiner Schüler ganze Tage in der Wildnis verbrachte. Sie wagten sich bis an die Grenze des Grundstücks vor, grüßten aufdringlich und begannen ein Gespräch, während sie sich auffällig unauffällig umsahen. Das musste sie wissen, aber was auch immer ihr Antrieb war, darauf zu sprechen zu kommen, so viel Frivolität, mich böswillig daran zu erinnern, traute ich ihr nicht zu.
    »Du kennst doch die Geschichte«, sagte ich. »Wenn du willst, kann ich sie dir gern noch einmal erzählen, aber das ändert nicht das Geringste.«
    Als sie gleich darauf von neuem wegmusste, nützte ich die Gelegenheit und verabschiedete mich. Zu dem Foto hatte ich nichts mehr sagen wollen, tat es dann aber doch, auch wenn es wieder nur der Ausdruck meiner Sorge war. Ich bat sie, den Zeitungsausschnitt mitnehmen zu dürfen, und sie blickte mich mit einem Lächeln an und meinte, ich möge ihn ruhig unter der Lupe betrachten, würde dadurch aber nicht mehr sehen, es sei alles nur in meinem Kopf. Dann ging sie, und ich schaute ihr nach, wie sie sich entfernte, bevor ich selbst aufstand. Sie war immer noch jung, immer noch keine dreißig und in gewisser Weise immer noch die geheimnisvolle Fremde, die von außen kam und allen zuhörte, aber kaum zu bewegen war, etwas aus dem Leben preiszugeben, das sie hatte, wenn sie im Frühjahr und im Herbst jeweils für ein paar Wochen nach Hause fuhr. Nicht nur einmal hatte ich sie danach gefragt, aber sie war ausgewichen, sie könne mir alles mögliche von sich erzählen, und doch würde ich von ihrer Welt wenig verstehen. Ich hatte mir damals die größte Mühe gegeben, mich nicht brüskiert zu fühlen, aber jetzt glaubte ich zu begreifen, worauf sie angespielt hatte. Es ging nicht nur um sie, und es ging nicht nur um mich. Sie hatte sagen wollen, dass niemand etwas vom anderen wusste, wenn es darauf ankam, und da konnte ich ihr schwer widersprechen.

2
    Ich war damals schon in der letzten Schulwoche fast jeden Tag am Fluss draußen gewesen und hatte mich dort mit einem Buch in die Sonne gesetzt. Dahinter steckte kein weiterer Plan, als möglichst schnell der Unterrichtswelt zu entfliehen, und schon bald legte ich das Buch immer öfter beiseite und begann, auf dem Grundstück sauberzumachen, das ich bis dahin einfach so gelassen hatte wie bei meiner Übernahme. Ich fing an, Steine aus der Wiese zu klauben, trug sie zusammen und überlegte, ob ich sie hinunterbringen solle zum Flussbett, der Schotterbank direkt vor meinem Haus, schichtete sie dann aber neben den Mauern oder vielmehr Mauerresten der Mühle zu einem Haufen. Womöglich hatte ich da unterschwellig bereits die Idee, sie als Baumaterial zu verwenden, aber nicht, dass ich bewusst daran dachte, und tatsächlich war ich nach den Monaten im Klassenzimmer so zufrieden mit der Arbeit im Freien und ihrer Ziel- und scheinbaren Nutzlosigkeit, dass ich zum ersten
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