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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
Autoren: Philipp Jessen
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Siegelring auf dem Mittelfinger trägt – manchmal.
    Wenn man mit Jungs Fußball guckt, dann läuft das eigentliche Spiel nicht in, sondern vor der Glotze ab. Wer macht die lustigsten Sprüche zu den Spielerfrisuren? Wer sieht das Abseits schneller als der Schiri? Wer kennt die besten Hintergrundgeschichten zu den Spielern? Alle haben sich am Tag davor noch schnell die Sport-Bild gekauft, geben mit irgendwelchen aus dem Internet auswendig gelernten Daten an (»Das war genau wie ‘93 im Endspiel …«) und rühmen sich mit eigenen hanebüchenen Stories vom deutschen Feld der Ehre (»In der F-Jugend hatte ich ein Angebot von HSV. Neh, jetzt wirklich!«). Es herrscht eine schwuchtelige Hooligan-Stimmung, alle reden halbzeitpausenlos durcheinander und vom Spiel kriegt man nichts mit.
    Für später war ich mit ihr verabredet.
    In der Halbzeitpause rief ich SIE! an. Obwohl wir schon ein paar Monate zusammen sind, fühlt sich jeder Anruf wie der erste an. Die Pieptöne erscheinen endlos lang, und wenn ich ihr »Hallo« höre, fühle ich ein so warmes Glück, das unmöglich zu beschreiben ist.
    SIE! war gut gelaunt und auf dem Heimweg von einer Freundin. Ich sagte, dass ich Lust hätte, mit ihr »was Ruhiges« zu machen. SIE! antwortete so etwas wie: »Zum Glück! Ich habe gehofft, dass du nicht ausgehen willst, dann machen wir heute entspannt. Ich freue mich ganz doll auf dich.«
    So weit – so gut.
    Ich guckte weiter Buffen. Dass mein Team schlecht spielte, war mir komplett egal. Obwohl meine Mannschaft mit einem Tor hinten lag, konnte ich es nicht erwarten, dass die Nachspielzeit endlich aufhörte. Die Jungs taten netterweise noch so, als wollten sie mich überreden mit ihnen wegzugehen – obwohl sie genau wussten, dass es sinnlos war. Ich hatte sogar Lust. Aber nicht im Geringsten so viel Lust, wie SIE! zu sehen.
    Beim Abpfiff saß ich schon im Auto.
    Während ich ausparkte, rief ich SIE! an, um zu fragen, ob ich was mitbringen soll. Stille am anderen Ende. Ich dachte, der Empfang wäre schlecht. Schüttelte mein Telefon (warum, weiß ich nicht) und sagte ein paar Mal »Hallo?«. Als ich gerade auflegen wollte, druckste es aber aus meinem Handy: »Stephanie will, dass wir mit ihr ausgehen.«
    Ich hielt das für eine reine Info und entgegnete: »Ja, schade. Können wir ja nächste Woche wieder machen. Was soll ich denn nun mitbringen?«
    »Komm, lass uns doch bitte mit ihr ausgehen.«
    Spätestens jetzt war klar, dass »was Ruhiges« heute Abend nicht drin sein würde.
    »Ich dachte, du hast keine Lust …?«
    »Hab ich auch nicht. Aber Stephanie will, dass ich mitkomme. Es bringt ihr mehr Spaß, wenn ich dabei bin.«
    »Na und? Wir müssen uns doch nicht dauernd nach deiner Schwester richten.«
    »Okay. Dann machen wir eben nichts zusammen!« Und dann legte SIE! auf.
    Ich gebe Gas. Rede, schreie mit mir selbst. Das mache ich in letzter Zeit öfter. Jetzt mal im Ernst: Was bringt es, wenn man einen Lebensabschnittspartner hat, in den man verliebt ist, und dann jedes Wochenende ausgeht? Überhaupt gar nichts!
    Geht man alleine weg, fragt man sich die ganze Zeit, was man da soll. Tut so, als ob man Spaß hat, damit einen seine Freunde nicht hinter dem Rücken »Spaßbremse« nennen, und guckt seinen besoffenen Freunden zu, wie sie versuchen, Frauen kennenzulernen, während das Glück alleine schläft oder auf einer anderen Feier angegraben wird.
    Zusammen wegzugehen macht genauso wenig Sinn. Man muss die ganze Zeit aufpassen, nicht zu viel aufeinander zu hängen, weil man dann nur noch »das Pärchen« genannt wird. Zu viel mit anderen darf man – natürlich – auch nicht reden. Das wird vom Partner oder dem Umfeld gerne mal falsch interpretiert, was zwar egal sein sollte, aber leider oft scheißgefährlich ist. Egal ob man zusammen oder getrennt weggeht, nach Hause darf man dann auch erst frühestens um vier. Dann ist der Party-Break-Point. Dann entscheidet sich alles. Dann musst du als Single spätestens ein »Projekt« haben, sprich: eine (scharfe) Frau beziehungsweise einen (süßen) Typen. Ist man leer ausgegangen, geht man als Frau selbstbewusst tanzen und als Junge cool saufen.
    Der Party-Break-Point ist die einzige Phase, in der man auch als Pärchen Spaß hat. Genüsslich bis gehässig schaut man Feind und Freund zu, wie sie sich beim anderen Geschlecht chancenlos abstrampeln, einen wohlverdienten Korb kriegen und dann irgendwas von »Die Alte ist bestimmt lesbisch« oder »Der Typ weiß nicht, was er
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