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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
Autoren: Philipp Jessen
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Kleinen pflegen«, sagte SIE!, als SIE! unverhofft und unangemeldet um 22.00 Uhr vor der Tür stand.
    Aus der Videothek hatte SIE! alle drei Teile des Paten mitgebracht, dazu Häagen-Dazs-Cookies&Cream-Eis, Apfelschorle und Orangensaft – so süß wie sinnlos.
    Kaum in der Wohnung begann SIE! zu rotieren. Dieses zärtlich-aggressive Frauenrotieren, bei dem man als Junge immer so tut, als würde es einen nerven, obwohl es sich so warm und weich wie der Lenor-Bär anfühlt.
    Erst zog SIE! mir einen Pulli an, weil man ihrer Meinung nach bei meiner Krankheit schwitzen muss. Schüttelte meine Decke aus, was mir tierisch peinlich war, da sich unter jener über den Tag mindestens 25 Furze angesammelt hatten. Dann öffnete SIE! das Fenster, kippte meinen Göbeleimer weg (der zwei Minuten vor ihrem Eintreffen noch mal seinen Zweck erfüllen musste) und kümmerte sich um die Fertigpizzareste, die unter mein Bett gefallen waren. Dass die meisten von ihnen mindestens neun Tage alt waren, ignorierte SIE! freundlich.
    Zwischen den Arbeitsgängen kam SIE! immer wieder zu mir. Streichelte meinen Kopf. Küsste mich. Schließlich holte SIE! den kleinen Fernsehtisch aus meinem Wohnzimmer, stellte ihn neben das Bett und drapierte darauf ihre Mitbringsel.
    Nach getaner Schwesternarbeit kramte SIE! aus meinem Schrank eine durchlöcherte graue Trainingshose und ein altes V-Ausschnitt-T-Shirt hervor und machte sich bettfein. Ich mag es, wenn SIE! meine Sachen trägt, aber ich liebe es, wenn SIE! sich vor mir umzieht. Ich starre SIE! an. Bewundere ihren Hintern. Falle in ihren Bauch. Zerspringe vor Freude, dass ich der Einzige bin, der diese Knieinnenseiten berühren darf.
    SIE! genießt meine Blicke. Glaube ich. Tut aber, als ob SIE! nichts merkt. Ich ziehe mich nie vor ihr um. Selbst nach dem Sex warte ich immer, bis SIE! den Raum verlässt, ziehe mir dann flugs meine Boxershorts unter der Decke an. Ich weiß nicht, warum. Auch das merkt SIE!, glaube ich, sagt aber nie etwas dazu.
    Bevor sie ins Bett sprang, packte SIE! noch den ersten Paten in den Recorder. Obwohl klar war, dass SIE! schon während des Vorspanns einschlafen würde.
    SIE! springt immer ins Bett. Es ist nie ein Hinsetzen und Unter-die-Bettdecke-Drehen. Kein Ins-Bett-Gleiten oder mal nur ein einfacher Hüpfer. Immer nimmt sie Anlauf und springt mit einem Riesensatz hinein. Wenn SIE! gelandet ist, baut SIE! sich umgehend ihre Schlafposition. »Kuhle«, wie SIE! es nennt. SIE! schlingt meinen linken Arm um sich, greift mit beiden Händen meine Hand. Und legt ihren Kopf in die Mulde, die zwischen Schulter und Oberkörper entsteht. Dann sagt SIE!: »Die Kuhle gehört nur mir« und »so mag ich das« und schließlich »schlaf gut« und küsst in die Luft.

Drei:
Warum lieben
    Ring. Ring. Ring. »Ich wollte deine Stimme noch mal hören. Bis morgen.« Klick. Tut. Tut.
    Es ist Sonntag. In ein paar Stunden ist Montag. Wir haben den ganzen Tag zusammen verbracht. Sind aufs Land gefahren. Haben uns an einen See gelegt und Zeitungen gelesen. Nicht viel geredet. Uns oft berührt. Ist man verliebt, wirkt Stille manchmal peinlich. Aber Lieben ist ruhig nebeneinander sein und sich dabei wohl fühlen.
    Als es kühler wurde, gingen wir in ein nicht gefallsüchtiges Gasthaus essen. SIE! bestand darauf, zu zahlen. Irgendwann brachte ich SIE! dann nach Hause. Eine halbe Stunde nach irgendwann setzte ich mich zu Hause in meine Badewanne.
    Ich lege immer ein Handtuch auf die Grenze zwischen Bad und Flur, da, wo die Kacheln in das Parkett übergehen. Wenn das Telefon klingelt, kann ich sofort aus der Wanne springen. Es könnte schließlich SIE! sein. Dann stelle ich mich auf das Tuch, drücke die Füße fest auf und gleit-renne schnell und ohne auf das Holz zu tropfen zum Telefon. So, wie jetzt auch. Wieder was gelernt: Glück ist, nass und nackt in seiner Wohnung auf einem Handtuch zu stehen.
    Ich binde mir das Handtuch um die Hüften und gehe zurück ins Bad. Abgekühlte, mit Seife versetzte Wassertropfen strömen meinen Oberkörper hinunter. Werden schließlich von dem blauen Frottee um meine Hüfte oder meinem tiefen Bauchnabel aufgefangen. Meine Lippen fühlen sich weiß-blau an. Ich versuche mir die Zähne zu putzen, aber es klappt nicht. Ich kann einfach nicht aufhören zu grinsen. Die Paste läuft mir aus dem Mund und landet in großen Tropfen auf meinem rechten Fuß.
    Ich hätte SIE! jetzt so gerne hier. SIE! könnte mir zum hundertsten Mal ihren Lieblingswitz erzählen: Kommt Jörg
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