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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
Autoren: Philipp Jessen
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sind mal im Bus am Grand Canyon vorbeigefahren. Ich war so aufgeregt den Canyon zu sehen. Ich fragte, ob ich ihren Platz am Fenster haben dürfte. Aber sie wollte den besseren Platz behalten, obwohl sie schon zweimal dort war.«
    Die Einbahnstraße ist sehr eng. Trotzdem schaffe ich es, mit zweimal Rangieren zu wenden.
    Ich habe mal eine Liste gemacht. Was für und was gegen diese Beziehung spricht. Ich habe vier Gründe gefunden, um SIE! zu verlassen. Und einen, es nicht zu tun. Dieser Grund sticht alles aus und lautet: Ich liebe SIE!. Abgöttisch. Denn manchmal zeigt SIE! mir etwas. Dann steht SIE! abends um sechs vor meiner Tür, lässt hinter ihre Augen schauen und sagt: »Ich will nur bei dir schlafen. Ich liebe dich. Egal, was ich sonst für Mist mache.« Das ist zweimal passiert und waren die Male in meinem Leben, in denen ich mich von jemandem geliebt gefühlt habe, der es nicht musste. Um meiner selbst willen.
    Ich fahre an eine Tankstelle und überlege, was ich machen soll. Weiter rumzugurken habe ich keine Lust. Nach Hause kann ich aber auch nicht. SIE! wird bestimmt nicht anrufen; säße ich zu Hause, hätte ich aber die traurige Gewissheit. So kann ich mich wenigstens ein bisschen belügen.
    Mein Handy vibriert.
    Das wird SIE! sein!
    Ich wusste es. Und SIE! weiß jetzt auch, dass SIE! Unrecht und mich schlecht behandelt hat und bittet mich um Verzeihung. Ich werde hektisch. Drücke meine Füße gerade in den Fußraum, um mein Telefon leichter aus der Hosentasche zu kriegen. Vorsichtig! Ich habe panische Angst, die SMS wegzudrücken.
    Menü. Mitteilungen. Eingang.
    Ihre Videothek hat Jubiläum – zu jedem Film gibt es eine Packung Tic Tac gratis!
    Ich packe einen Gang rein und fahre weiter. Im Rückspiegel sehe ich, wie der Nachtschicht-Tankwart mir kopfschüttelnd nachschaut. In meinem ganzen Leben werde ich nie wieder Tic Tacs kaufen.
    »Ich gucke nur, ob SIE! schon zu Hause ist«, erkläre ich dem verbliebenen Rest Stolz in meinem Körper, der sich über mich totlacht, seitdem ich entschieden habe, bei ihr vorbeizufahren. »Du bist mir peinlich!«, flüstert Herr Stolz. »Du bist wie eine weinerliche Frau. Ich haue ab.«
    Ich stehe vor ihrer Haustür. In ihrem Zimmer brennt kein Licht. Ich stelle die Rufnummernübermittlung aus und rufe SIE! an. Mailbox.
    Nach kurzem Pseudozögern entschließe ich mich zu klingeln. Die Klingel ist überwuchert mit irgendwelchen Ranken, die am ganzen Haus langwachsen. Sie ist auch niedriger angebracht als normale Klingeln. Ich brauche immer Stunden, sie zu finden.
    Es dauert eine Ewigkeit.
    Ich klingle noch einmal.
    Der Vater öffnet. »Hallo, was machst du denn hier?« Er ist ein lieber Kerl. Er hat schon geschlafen. Trägt nur eine Boxershorts und einen Bademantel. In seinem Gesicht sind Abdrücke von einem Kopfkissen zu sehen. Seine Frau hat ihn und die Familie vor Jahren verlassen. Obwohl ich ihn sehr gern mag, bin ich ungern in seiner Nähe. Er belästigt mich immer mit einem kumpeligen Mitfühlblick. So nach dem Motto: Mir haben die Frauen auch immer auf der Nase rumgetanzt.
    »Ich wollte zu …«
    »Du, die ist nicht da. Die ist mit Stephanie und einer großen Gruppe auf so ‘ne Party auf dem Land gefahren. Dauert zwei Tage. Die schlafen auch da. Haben die dir nicht Bescheid gesagt?«
    »Doch, natürlich. Muss ich wohl vergessen haben. Schlafen Sie gut.«
    »Magst du reinkommen, auf ein Bier?«
    »Sehr nett. Aber nein danke. Aber nein. Danke.«
    In letzter Zeit, wenn ich im Bett liege, denke ich oft zurück, wie ich als Kind war und was ich damals so alles erlebt und geglaubt habe. Zum Beispiel wenn ich als Kind Liebesfilme gesehen habe, mit zwei Menschen, die sich liebten, sich stritten und nicht mehr zueinander fanden, dachte ich immer, mir könnte so etwas nicht passieren. Ich habe geglaubt, wenn man sich liebt, gibt es keine Probleme. Ich würde einfach zu meinem Mädchen gehen und ihr sagen, dass ich sie über alles liebe. Und da sie mich ja auch liebt, wäre dann doch alles wieder in Ordnung.
    Ich war wohl ein sehr dummes Kind.

Fünf:
Irgendwie Urlaub
    Man sollte Pornos morgens zeigen. Man hat eh eine Latte, Kinder sind in der Schule und der Tag hat einem noch nicht die Lust genommen.
    Noch 187 Kilometer bis nach Hause. Trotz drei Red Bulls bin ich müde. Rechts zischen die Begrenzungspfeiler vorbei und es stinkt, wie so oft auf Autobahnen, nach Kuhmist. Der Mond ist nicht ganz voll. Oben links fehlt ein kleines Stück. Ob abnehmend oder zunehmend, weiß
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