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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
Autoren: Philipp Jessen
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ich nicht. Ich habe vergessen, wie man das erkennt. Ich fahre schon knappe drei Stunden. Nie unter 170. Nur geradeaus. Der Mond bleibt am gleichen Fleck.
    Seit einer Stunde benutze ich ausschließlich die Mittelspur. Bei einem Sekundenschlaf habe ich so die beste Chance, noch rechtzeitig aufzuwachen.
    Neben schläfrig fühle ich mich auch nicht wohl.
    Ich bin auf der Heimfahrt von Dänemark. SIE! hatte sich dort mit alten Schulfreunden, die mittlerweile in ganz Deutschland verstreut leben, für drei Wochen ein Haus gemietet. Ganz weit im Norden. In Kittmöller, dem Surferort. Irgendwie ist es nicht zustande gekommen, dass SIE! und ich gemeinsam dahin fahren. SIE! plante wochenlang munter vor sich hin. Fragte mich, was sie mitnehmen müsse. Ob SIE! lieber den Wagen ihre Mutter nehmen solle. Wie ich ihre Bikinis fände. Themen wie: Ob ich Lust hätte mitzukommen, oder warum SIE! gerne alleine fahren würde, wurden irgendwie nicht besprochen.
    Ich schenkte ihr noch ein Hörbuch. Wir winkten. Dann war SIE! weg.
    SIE! rief jeden Tag an. Aber von Tag zu Tag wurden die Gespräche um vier Minuten kürzer, während sie gleichzeitig immer zehn Minuten später als am Vortag begannen. Beendet wurden die Gespräche ausnahmslos von fest geplanten Gruppenaktivitäten. Der Satz: »Du, sei nicht sauer, die anderen rufen schon, wir gehen …« ersetzte ab dem ersten Tag das »Tschüss, ich hab dich lieb!«.
    Je mehr ich SIE! vermisste, desto mehr fand ich es eine Spitzenidee, SIE! zu überraschen. Mädchen in RTL-Serien freuen sich über solche Gesten. Natürlich erwischt der Überrascher da auch manchmal seine Freundin mit ihrem Adoptivvater beim Ficken, aber das blendete ich komplett aus. Ich fuhr los.
    Irgendwie hat SIE! sich gefreut. Nahm mich in den Arm – wie man das so macht. Sagte nette Sachen – die man so sagt.
    Ihre Freunde waren okay bis uninteressant. (Auf den ersten Blick wenigstens keiner, der mir gefährlich werden konnte.) Die Gruppe bestand aus vier Frauen und drei Typen. (Sehr gut! Keine Eins-zu-eins-Aufteilung!) Irgendwie wurde es ganz nett. Wir fuhren alle zusammen an den Strand (SIE! legte ihr Handtuch neben meins), gingen nett essen (bei Hin- und Rückfahrt fuhren wir in getrennten Taxen) und betranken uns in einer miesen Feriendisco mit dänischem Bier (nur einmal geknutscht – ging von mir aus). Irgendwie habe ich früher auf solche Dinge nicht geachtet. Geschlafen haben wir in den drei Tagen nicht miteinander. Sind morgens nur einmal Arm in Arm aufgewacht.
    Ist das normal?
    Ist es krank?
    Und wenn es krank ist, wie akut?
    Ist es ein Beziehungsschnupfen oder Beziehungskrebs, wenn deine Freundin nach zwei Wochen räumlicher Trennung irgendwie körperlich fremdelt, statt heiß auf dich zu sein?
    Ich für meinen Teil war heiß. Aber als Typ ist es eine Todsünde, sich über eine zu geringe Beischlafdichte zu beschweren. Angeblich wollen Frauen doch, dass wir über alles reden, uns öffnen und mitteilen – nur bei diesem Thema sollen wir unsere Fresse halten. Als Junge kann man nur verlieren, wenn man sich über die Unlust der Partnerin beschwert oder auch nur wagt sie darauf anzusprechen. Umgehend bekommt man(n) auf Ewigkeit den »Rücksichtsloser unsensibler Sexrüpel«-Stempel aufgedrückt. Obwohl doch genau das Gegenteil zutrifft. Jungen macht es verrückt, wenn ihre Freundin nicht mit ihnen schlafen will. Für Männer ist die Lust der Frau gleichbedeutend mit ihrer Verliebtheit. So sieht es aus. Von wegen Trieb.
    Jetzt wird diese Raststätte schon seit 5 Kilometern angekündigt und ich fahre trotzdem vorbei. Ich verstehe das nicht. Ein goldenes M bahnt sich seinen Weg von rechts nach links auf meinem Rückspiegel. Einen McDonald’s gab es da auch? Na toll! Nächste Raststätte: 67 Kilometer. Noch toller.
    Ich bin zwei Tage früher als geplant gefahren. Erzählte morgens was von einer Party, auf die ich unbedingt gehen wollte, und fing an zu packen. Alles wurde ganz langsam und vorsichtig in meine zu große Tasche zusammengelegt.
    Ich war gespannt, wie SIE! reagieren würde. Verwundert oder/und erbost? Würde SIE! mich überreden zu bleiben? Ich wäre geblieben.
    Verwundert war SIE! ein wenig.
    Erbost überhaupt gar nicht.
    Irgendwie versuchte SIE!, mich zum Bleiben zu überreden. Aber eben nur irgendwie. Es war wie eine dieser »Zwei Leute streiten, wer die Rechnung bezahlen soll«-Situationen, in der einer viel zu früh dem anderen die Rechnung überlässt. Sehr unangenehm.
    Sowieso, in letzter Zeit
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