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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
Autoren: Philipp Jessen
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neuen Snowboard und hässlichen Skiklamotten, auf dem Idiotenhügel. Wo die anderen sind, weiß ich nicht. Was ich weiß ist, dass jeder von ihnen besser fährt als ich und ich deshalb hier seit fünf Tagen, ohne den Hauch eines Fortschrittes, alleine trainieren muss. Dieser »Berg« hat höchstens eine Steigung von fünf Prozent. Rechts ist ein T-Lift, in dem ständig Kleinkinder mit neonfarbenen Helmen der kurzen Länge nach hinschlagen. Genau wie auf der Piste.
    Ich bin mit Abstand (mit zehnjährigem) der Älteste hier. Es ist einfach nur peinlich! Obwohl mir kalt ist, schwitze ich. Und jetzt muss ich mich auch noch – zu allem Überfluss – von diesem Snowboard-Häschen penetrieren lassen? Mit meiner linken Hand, die nicht mehr in einem Handschuh steckt, da sie mir eben noch dabei behilflich war, Schneereste von meiner Hose zu entfernen, forme ich einen Schneeball. Lasse ihn unauffällig in meine rechte Hand gleiten. Ohne zu zielen schleudere ich das baseballgroße Teil mit voller Wucht in ihre Richtung.
    Und ich treffe!
    Der mit Dreck und kleinen Steinchen versetzte Eher-Eis-als-Schneeball schlägt in ihr Gesicht ein. Das Treffergebiet verfärbt sich umgehend in ein ungesundes Rot-Lila-Grün.
    Upsala.
    SIE! schnauzt einen Satz. Anscheinend hat SIE! auch Schnee (und Dreck) in den Mund bekommen, denn bei mir landen nur dumpfe Wortfetzen (und Dreck). An der ihrerseits geplanten Lautstärke liegt es jedenfalls nicht, dass ich nur die Worte »wohl«, »nicht«, »ganz« und »dicht« verstehe. Ich überlege, in welchen nett gemeinten oder mit Anerkennung hochgetunten Satz diese Wörter passen könnten – da trifft mich ein Blick, der mir umgehend bestätigt, dass wohl doch meine erste Interpretation der Wortrudimente richtig gewesen ist.
    Ihre Wange sieht mittlerweile aus wie eine Qualle, die gerade Blutwurst gegessen hat. SIE! richtet ihr Snowboard hangabwärts aus. Fährt davon. Dass SIE! nicht schreit oder heult, beeindruckt mich fast genauso doll, wie es mir peinlich ist, ein Mädchen auf dem Babyhügel zu schikanieren.
    Zum Glück gehen wir heute Abend aus. Und auch zum Glück bin ich noch/schon breit.
    Wir sind fünf Typen. Alle in der gleichen Liga, würde ich sagen. Der eine ist witziger, der andere sieht besser aus. Insgesamt hält es sich aber ganz gut die Waage. Da meine Snowboard-Skills allerdings so deutlich zu wünschen lassen, dass mir auch sämtliche grimmschen Märchenfeen nicht helfen könnten, ist meine Meinung und Anwesenheit in diesem Urlaub trotzdem unter dem üblichen Niveau gefragt.
    Wir gehen in den einzigen Club im Ort. Der Zimtstern liegt am anderen Ende des Dorfes. Das bedeutet einen Fußmarsch von 15 Minuten. Außerdem bedeutet es: Schneejacken über Ausgeh-Outfits anziehen. Und mit Andreas-Türck-Schweißrändern unter den Armen ankommen. Was mich jedes Mal genauso aufregt, wie die Tatsache, dass die Person Andreas Türck überhaupt in meinem Hirn gespeichert ist, jemand wie er in Deutschland als prominent gilt und wir vergleichbare Körperfunktionen haben.
    Der Club ist typisch Skiurlaub: Genau in der Mitte ist die stahlbeschlagene Tanzfläche; alte Bierbänke sind in Sternenform drum herum aufgebaut; Lichtanlage mit den Disco-Grundfarben Lila, Grün, Blau ist, ebenso wie eine Nebelmaschine, selbstredend vorhanden. Unterbrochen wird der ausgesprochen hippe Bierbankstern nur durch das DJ-Pult des komplett talentfreien Discjockeys-DJ-Chrischi. Chrischi-Christian trägt Glatze und Sonnenbrille mit bunten Gläsern. Er kündigt jedes Lied mit einer frechen Kurzgeschichte an, gefolgt von einem lauten »Wuhuuu!«.
    Noch bevor wir Platz genommen haben, beginnen Jakob und Daniel mit dem Retortendialog, den jede Disco und jeder Club auf der ganzen Welt schon fantastilliarden Mal gehört haben.
    »Hey, guck mal, die Alte da hinten ist cool.«
    »Ja, die ist geil. Aber da hast du so was von keine Chance! Die hat mich gestern schon so derbe angegafft, da will ich heute Abend mal beigehen. Konkurrenz ist für mich ja nicht da. Haha.«
    »Vergiss es – die hat Bock auf mich. Ich erkläre dir mal ihre Taktik: Sie macht sich über den bescheuerten Mongo-Freund an den geilen Typen ran! Haha!«
    »Wichser! Haha!«
    (Nur für das Protokoll: Keiner der beiden wird heute Abend irgendwo »beigehen«. Genau wie den restlichen Urlaub auch nicht.)
    Ich will keine Frauen mehr auf Partys kennenlernen. Ich benehme mich abends meistens so daneben, dass die Frauen, die das geil finden, einfach nicht ganz dicht
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