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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
Autoren: Philipp Jessen
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sein können. Außerdem habe ich vor Kurzem geträumt, dass ich in einem Trainingsanzug Milchflaschen einkaufen gehe. Auf dem Weg zur Kasse fallen mir die Flaschen hinunter. Sofort sprintet der Filialleiter mit fettigen Locken, dreckiger Supermarktjacke und Goldrandbrille herbei, um mir Wischtücher zu geben. Während ich so vor mich hin wische, höre ich eine Stimme: »Kann ich dir helfen?« Es ist nicht irgendeine Frau. Es ist die Frau! Sie hilft mir, die Milch von dem Linoleumboden zu wischen und die Scherben aufzusammeln. Zwischendurch fängt sie immer wieder an mit mir zu knutschen. Am Morgen habe ich beschlossen, meine nächste Lebensabschnittspartnerin so und in keinem Fall irgendwie anders kennenzulernen. Ich möchte in schwachen Momenten geliebt werden.
    »Ignoriere mich nicht!« Das ist nicht die Stimme aus meinem Traum. Ich drehe mich um.
    »Ey, du Trottel, ich bin es! Wir haben uns vorhin auf dem Hügel getroffen.« SIE! setzt sich neben mich. Bisschen jung vielleicht. Aber: Solche Locken habe ich noch nie gesehen. Solche Augen habe ich noch nie gesehen. So eine Nase habe ich noch nie gesehen.
    »Was macht der denn hier?«
    Mein Kopf ist in einem Daunenkissen begraben. Meine Augen sind mit Schlaf verklebt und mir ist kalt. Eine Hand liegt in meinem Nacken und krault mich.
    Ich bewege meinen Körper leicht hin und her, um zu checken, ob ich noch meine Kleidung anhabe.
    Ja.
    »Hallo, halloho? Ich will wissen, was der hier will!«
    Gute Frage. Was mich aber persönlich mehr interessiert: WO bin ich hier?
    »Lass uns in Ruhe. Er hat hier nur geschlafen. Es ist gar nichts passiert. Gar nichts!«
    Das stimmt nicht. Langsam dämmert es mir.
    »O Gott. Das kann doch echt nicht wahr sein! Da nimmt man dich nach langen Diskussionen mit, und nach zwei Tagen schleppst du irgendeinen fremden Typen ab!«
    »Jetzt geh. Bitte.«
    »Nein.«
    Ich tue immer noch so, als würde ich schlafen. Obwohl mir das bei dem Gekreische sicher niemand abnimmt. Meine Augen sind mittlerweile offen, trotzdem ist es schwarz – natürlich. Ich drücke meinen Kopf, so unauffällig wie möglich, immer fester in das Kissen. Eine Federspitze, die sich durch den Kissenbezug gebohrt hat, stößt mir in die Pupille. Mein Auge tränt. Es tut höllisch weh. Ich gebe keinen Mucks von mir.
    »Okay, ich warte unten.«
    Mann, ist das peinlich. Da kann ich mir nachher toll was von den Jungs anhören. Wer ist überhaupt diese Nervtante? Das Zimmermädchen? Quatsch.
    »Aber in zwei Minuten seid ihr da.«
    »Jaha. Schwesterherz.« Zum Glück nicht die Mutter.
    Die Tür fällt zu. Abgang Hysterisches-Schwesterherz-Etwas. SIE! tut – netterweise – so, als ob es immer noch nötig wäre, mich zu wecken. SIE! krault mich doller. Nicht mehr mit den Fingerkuppen, sondern mit den Spitzen. SIE! küsst mich erst auf den Hinterkopf. Dann auf mein Ohr. Ich tue – feigerweise – so, als ob ich gerade erst durch ihr Wecken wach werde. »Mmmmmhhhh … Guten Morgen!«
    »Gut gepennt, Pennerchen?«
    Süß sieht SIE! aus, verschlafen im Morgenlicht.
    Ich glaube, wir sind zusammen.

Zwei:
Krank
    Regen schlägt gegen die Scheibe. Die Tropfen müssen sehr hart sein. Vielleicht haben sie einen kleinen Eiskern in ihrer Mitte. Es klingt, als ob jemand im Nanosekundentakt mit Stecknadeln gegen die Scheibe klopft. SIE! schläft. Liegt, ruhig atmend, mit ihrem Kopf auf meiner Brust. Alle zwei Sekunden kräuselt SIE! ihre Nase. Lächelt. Mein linker Arm liegt unter ihrem Oberkörper. Etwas, ich glaube ihr rechtes Schulterblatt, schneidet in meinen Bizeps. Aber mein Arm will nirgendwo anders sein.
    Ich bin krank. Seit neun Tagen liege ich komplett flach und reihere mir die Organe aus dem Leib. Erstens real: weil ich eine fiese Magenverstimmung habe und alles, was ich zu mir nehme, in fünf Minuten verflüssige und dann auskotze. Zweitens metaphorisch: weil nach einer knappen Woche Non-Stop-Dauerglotzen das Gehirn so sehr aufweicht, dass man anfängt Vera -Gäste zu verstehen.
    SIE! besucht mich jeden Tag. Obwohl es in meiner Wohnung hart nach Buttersäure stinkt, ich nach altem Schweiß miefe und SIE! in einer Woche Klausuren schreibt. Heute war eigentlich kein Besuchstag. Tagsüber wollte SIE! lernen. Später mit ihrer Schwester und ein paar Freundinnen auf eine Geburtstagsreinfeiergartenparty gehen. Das tat SIE! auch alles, setzte sich aber nach zwanzig Minuten Gesichtschieben, unter Protesten ihrer Freundinnen und Schwester, in ein Taxi und fuhr zu mir. »Ich muss doch meinen
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