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Sturm ueber Cleybourne Castle

Sturm ueber Cleybourne Castle

Titel: Sturm ueber Cleybourne Castle
Autoren: Candace Camp
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PROLOG
    Der Duke of Cleybourne war auf dem Weg zu seinem Stammsitz, um aus dem Leben zu scheiden.
    Diesen Entschluss hatte er am Abend zuvor getroffen, als er vor dem Porträt seiner Gemahlin Caroline stand, einem Hochzeitsgeschenk seines Schwagers Devin. Eine ganze Weile war Richard in die Betrachtung des Bildes und des kleineren seines Töchterchens versunken gewesen. Dabei war ihm bewusst geworden, dass es bereits wieder Dezember war und sich der Todestag der beiden jährte.
    In jenem unheilvollen Monat hatte sich die herzogliche Kutsche überschlagen, war über die vereiste Straße und die mit Raureif bedeckte Grasnarbe geglitten und durch die dünne Eisdecke in einen angrenzenden See gestürzt. Der schreckliche Unfall geschah nur wenige Tage vor dem Christfest.
    Noch heute meinte Richard den schweren harzigen Duft der unzähligen Tannenzweige zu riechen, mit denen das Schloss bereits für die Weihnachtsfeier geschmückt worden war. Durch Krankheit und langsame Wiedergenesung hindurch hatte dieser Geruch in seiner Nase gehangen wie die abscheuliche Witterung des Todes, lange nachdem die Zweige entfernt und verbrannt worden waren.
    Vier Jahre waren seitdem vergangen, und die meisten Menschen glaubten, der Duke habe den Kummer über diese Tragödie nun überwunden. Normalerweise trauerte man eine angemessene Zeit, nahm sich dann jedoch zusammen und kehrte wieder ins Leben zurück. Aber dazu war Richard nicht fähig gewesen. Offen gestanden hatte er es auch gar nicht gewünscht.
    Nach seiner Gesundung hatte er dem Landsitz den Rücken gekehrt und sich in seinem Stadthaus in London niedergelassen. In das Schloss Cleybourne war er die ganze vergangene Zeit nicht wieder zurückgekehrt.
    Gestern Abend jedoch, als er die Bilder betrachtete, hatte er gespürt, wie müde er es geworden war, sich durch die Eintönigkeit der Tage zu kämpfen, und die Erkenntnis, dass niemand ihn weiterhin dazu zwingen konnte, war ihm wie ein Himmelslicht erschienen. Es gab keine Notwendigkeit, auf diese Weise fortzufahren, bis Gott in seiner Allmacht beschloss, dass es nun endlich an der Zeit für ihn wäre. Die Cleybournes waren ein langlebiges Geschlecht und hatten nicht selten in körperlicher und geistiger Frische die achziger und sogar die neunziger Jahre erreicht. So war also wenig Hoffnung auf eine baldige gnädige Einsicht Gottes.
    Da hatte Richard denn doch mehr Zutrauen zu seinen Pistolen und seiner ruhigen Hand. Er würde selbst dafür sorgen, dass er endlich den Frieden bekam, nach dem er sich so sehnte.
    Kurz entschlossen läutete er nach seinem Butler und befahl ihm, das Reisegepäck zu richten. Er wolle wieder in das Schloss ziehen, erklärte er und fühlte sich ein wenig schuldig, als er bei diesen Worten die strahlende Freude auf dem Gesicht des alten Mannes bemerkte. In Windeseile sprach sich die Nachricht unter der Dienerschaft herum, die sich all die Jahre Sorgen um ihren Herrn gemacht hatte und nun hoffte, dass die Zeit des Schmerzes endlich vorüber war. Mit frohem Mut ging auch sie ans Packen.
    Das ist schließlich keine Lüge, sagte sich Richard. Bald hätte die Zeit des Schmerzes ein Ende, und zwar an dem einzig dafür passenden Ort - nämlich dort, wo seine Frau und sein Kind gestorben waren und er sie nicht vor dem Tode hatte retten können.

1. KAPITEL
    Lady Leona Vesey war schön, wenn sie weinte. Und das tat sie jetzt ausgiebig. Glitzernde Tränen füllten ihre Augen und rollten dann langsam die gepuderten Wangen hinab, während sie die knochige Hand des alten Mannes umklammerte, der vor ihr im Bett lag. „Oh, liebster Onkel, bitte, bitte, stirb doch noch nicht", flehte sie mit zitternden Lippen und halb erstickter Stimme.
    Jessica Maitland, die auf der anderen Seite des Krankenbettes von General Streathern neben dessen Großnichte Gabriela stand, betrachtete die weinende Frau mit kühler Geringschätzung. Auf der besten Bühne Londons hätte sie mit dieser Vorstellung Erfolg, dachte sie. Sie musste sich eingestehen, dass Leona wirklich entzückend aussah, wenn sie in Tränen schwamm. Vermutlich hatte sie dieses Talent jahrelang perfektioniert. Nicht umsonst hieß es schließlich, dass Tränen bei Männern eine ganz besondere Wirkung hatten. Jessica ihrerseits vermied es nach Möglichkeit, zu weinen, und wenn es gar nicht anders ging, so tat sie es in ihrem Zimmer, wo niemand sie sehen konnte.
    Obwohl sie selbst eine durchaus reizvolle junge Frau war, musste sie sich eingestehen, dass Lady Leona Vesey auch dann
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