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Sturm ueber Cleybourne Castle

Sturm ueber Cleybourne Castle

Titel: Sturm ueber Cleybourne Castle
Autoren: Candace Camp
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schön war, wenn sie ihre Tränen zurückhielt. Seit Jahren war sie eine der am meisten bewunderten Schönheiten der Londoner Gesellschaft, obwohl ihr der Zutritt zu den besten Familien wegen ihres zweifelhaften Lebenswandels verwehrt wurde. Wenn nun ihr Stern langsam zu sinken begann, so konnte das unstete Kerzenlicht in verdunkelten Zimmern doch immer noch weitgehend die Spuren verbergen, welche die Zeit und die Ausschweifungen in ihrem Gesicht hinterlassen hatten.
    Lady Vesey besaß wohlgeformte üppige Rundungen, Aus dem tiefen Ausschnitt ihres Kleides, das besser in einem Ballsaal gepasst hätte als in das Krankenzimmer eines betagten Verwandten, quoll ihr sanft schimmernder Busen verführerisch hervor. Ihre Haut war zart und leicht honig-farben angehaucht, was hervorragend zu den aufgetürmten goldenen Löckchen und den wie Bernstein schimmernden Augen passte. Bei ihrem Anblick fühlte Jessica sich an eine gepflegte, verhätschelte Katze erinnert, obgleich Leona sich schlagartig in eine Art Löwin verwandeln konnte, wenn man sie ärgerte. Erst gestern hatte sie eines der Dienstmädchen geohrfeigt, das ihr versehentlich ein wenig Tee auf den Rock getropft hatte.
    Jessica hätte Leona am liebsten auch eine Maulschelle versetzt, doch da sie nur die Gouvernante von General Streatherns Mündel war, presste sie lediglich schweigend die Lippen aufeinander. Sie führte zwar den Haushalt des Generals auf vorbildliche Weise, ungeachtet dessen stand die schluchzende Dame jedoch nicht nur im gesellschaftlichen Rang weit über ihr, sondern hatte als Frau seines Großneffen auch gewisse verwandtschaftliche Bindungen zu dem alten Herrn. Von dem Augenblick an, da Lord und Lady Vesey in das Haus gekommen waren, hatte Leona die Zügel ergriffen und Jessica wie einen einfachen Dienstboten behandelt.
    „Oh, Großonkel", stammelte sie gerade in weinerlichem Ton und tupfte sich die Tränen mit dem Taschentuch ab, „bitte, sprich doch ein Wort. Ich kann es nicht ertragen, dich in diesem Zustand zu sehen."
    Bei diesen Worten spürte Jessica, wie Gabriela an ihrer Seite zusammenzuckte. Sie wusste sofort, was das Mädchen dachte: Lady Vesey war nur eine angeheiratete Verwandte des Generals und weit davon entfernt, der Verzweiflung anheim zu fallen, nur weil der alte Herr offensichtlich an der Schwelle des Todes stand.
    In den sechs Jahren, die sich Jessica nunmehr bereits im Hause des Generals aufhielt, hatten sich die Veseys nur sehr selten sehen lassen. Wenn sie denn doch einmal kamen, so war ihr Besuch immer mit der Forderung nach Geld verbunden gewesen. Zweifellos waren sie auch ausschließlich aus diesem Grunde jetzt an das Bett des Kranken geeilt. Vor einer knappen Woche hatte General Streathern die Nachricht vom Tode einer alten, sehr lieben Freundin erhalten. Mit einem lauten Schrei war er aufgesprungen, hatte sich dann an den Kopf gegriffen und war lautlos auf den Teppich gesunken. Die Diener hatten ihn in sein Bett getragen. Dort lag er seitdem wie erstarrt und scheinbar gefühllos für alle und alles um ihn herum. Schlaganfall hatte der Arzt mit einem bedauernden Kopfschütteln diagnostiziert und im Hinblick auf das vorgerückte Alter des Kranken nur wenig Hoffnung auf eine Genesung gemacht. Jessica war fest davon überzeugt, dass die Veseys nur hergekommen waren, damit der General sie in seinem Testament nicht überging.
    Trotzdem hatte sie sich die ganze Zeit bemüht, ihre Antipathie gegenüber Lord und Lady Vesey zu unterdrücken. Schließlich waren sie neben dem General die einzigen Verwandten von Gabriela. Vermutlich würde Lord Vesey die Vormundschaft über das Mädchen zugesprochen werden, wenn der alte Herr seine letzte Reise antreten sollte, was von Tag zu Tag wahrscheinlicher schien.
    Jessica hielt sich immer wieder vor, dass ihre Abneigung gegenüber Lady Vesey vor allem auf deren sinnlicher Schönheit beruhte, denn sie selbst war während der Schulzeit hoch aufgeschossen und ihrer eigenen Meinung nach dünn wie ein Besenstiel gewesen mit einer wilden Mähne fuchsroten Haares. Mund und Augen waren für das strenge, schmale Gesicht viel zu groß. Sie hatte alle anderen Mädchen und selbst viele Jungen überragt und sich deshalb neben all den sanften, zierlichen und schon leicht gerundeten Mitschülerinnen hoffnungslos unweiblich gefühlt. Und selbst als auch ihr Körper voller und reifer geworden war, das Gesicht weichere Züge bekommen und die Haarfarbe sich in ein warmes Rot verwandelt hatte, spürte sie immer
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