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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien
Autoren: Veronica Frenzel
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September
Tausendundeine Nacht
    Der Fahrtwind bläst mir heiß ins Gesicht, meine Oberschenkel kleben an den Kunststoffbezügen der Sitze, meine Augen brennen. Es ist Anfang September,
und gerade bin ich über die Grenze zwischen Kastilien-La Mancha und Andalusien gefahren, durch die Schlucht von Despeñaperros. Vor mir ein Meer von
Olivenbäumen, ab und zu taucht dazwischen ein weiß getünchtes Cortijo, ein Bauernhaus, auf. Ich drehe die Musik auf volle Lautstärke. Die Klänge der
Flamenco-Fusion-Band Chambao dröhnen aus den kleinen Boxen, „Volando voy“ singt Frontfrau La Mari, ich fliege. Es ist eine Coverversion des Lieds der
Flamenco-Legende Camarón de la Isla. In meinem knallroten VW-Bus bin ich auf dem Weg nach Granada. Später Nachmittag, die Sonne steht tief, der Asphalt
der Autobahn flimmert in der Hitze. Die gefühlte Temperatur in meinem Bus liegt bei über vierzig Grad. Ich greife nach der Wasserflasche auf dem
Beifahrersitz; sie ist kochend heiß. Ohne zu zögern, schütte ich mir den Rest des Wassers einfach über den Kopf. Aber die Erfrischung hält nur kurz an,
schon nach wenigen Minuten hat der Fahrtwind mein T-Shirt wieder staubtrocken geblasen.
    Drei Jahre ist es her, dass ich ein Jahr lang in Granada studiert und in dem arabischen Viertel Albayzin gelebt habe. Ein Anruf genügte, um mich wieder
in die lebensfrohe Stadt am untersten Rand von Südspanien zu locken. Eine befreundete Regisseurin rief mich an, sie plane einen Dokumentarfilm über die
spanische Frau. „Am liebsten würde ich in Andalusien drehen“, sagte sie und fügte schnell hinzu,ich würde mich dort doch sehr gut
auskennen. Ob ich nicht die Vorrecherche und die Produktion übernehmen wolle. Mehr war nicht nötig, meine Entscheidung war gefallen. Den Job als
Reporterin bei der Lokalausgabe einer Münchner Zeitung gab ich kurzerhand auf. Mein wichtigstes Hab und Gut packte ich in den Bus, und schon ging es
los. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich Frankreich und Nordspanien durchquert, nach einem Zwischenstopp bei einem Bekannten in Madrid ging es dann
weiter nach Andalusien. Jetzt sitze ich in meinem Auto, singe laut „Volando voy“ mit der Sängerin von Chambao und beschließe, die vierzig Grad im
Schatten zu genießen, während mein Blick immer wieder von der Straße in die von der Sonne golden angestrahlten Ölbaumhaine schweift.

    In ein weiches Orangerot hat die Abendsonne die Stadt getaucht, als ich in Granada ankomme. Selbst die hässlichen Vorortsiedlungen,
die ich auf dem Weg in die Altstadt passieren muss, bekommen in diesem Licht einen schönen Anstrich. Für die letzte Etappe der Fahrt habe ich echten
Flamenco aus meiner CD-Sammlung gefischt, die sich während der drei Tage Fahrt auf dem Beifahrersitz und auf dem Boden verteilt hat. Camarón de la Isla
singt jetzt „Como el Agua“. Auf der Hauptstraße Gran Vía de Colón empfangen mich der vertraute Lärm der röhrenden Vespas und die Halbwüchsigen, die auf
ihren Mopeds ohne Helm und mitten im dichtesten Verkehr waghalsige Kunststücke vollführen. Touristen und Granadinos in luftigen Sommerkleidern drängen
sich auf den Gehsteigen. Die ersten Nächte in meiner alten Heimat will ich bei meiner Freundin Esther verbringen. Sie wohnt mitten im Albayzin, meinem
alten Viertel, das genau gegenüber der maurischen Palastanlage Alhambra liegt. Während ich im chronischen Stau an der Gran Vía stehe und aus dem Fenster
das bunte Treibenauf den Gehwegen verfolge, erinnere ich mich an einen Schleichweg, der einem die lästige Parkplatzsuche in der
Innenstadt erspart. In dem Viertel Haza Grande, genau oberhalb des Albayzin gelegen, gab es immer ausreichend Platz. Und auch jetzt enttäuscht mich der
Geheimtipp nicht: Kaum bin ich in Haza Grande angekommen, stehe ich auch schon vor einer großen Parklücke. Ich packe Wäsche zum Wechseln, die Zahnbürste
und die Kamera in meine Umhängetasche.
    Bevor ich in die Gassen des Albayzin eintauche, halte ich kurz am Aussichtspunkt San Cristóbal an. Die Alhambra glüht jetzt rot, die letzten
Sonnenstrahlen fallen auf die Stadt, dahinter liegen die grünen Gartenanlagen des Generalife bereits im Dunkeln, die Dachziegel des Häusermeers
leuchten. Ich atme die Stimmung ein, jeden Moment, so scheint es, könnte hinter einer Ecke ein dunkelhäutiger Maure mit Kopftuch auftauchen. Ein
Hochgefühl macht sich in mir breit, und die Müdigkeit der Autofahrt ist plötzlich von mir abgefallen. Beschwingt laufe ich die Gassen hinunter.
    An
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