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Ein zahnharter Auftrag

Ein zahnharter Auftrag

Titel: Ein zahnharter Auftrag
Autoren: Franziska Gehm
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Vorsichtshalber stellte Silvania sich schon mal auf die Zehenspitzen.
    Plötzlich drehte sich Jacob wieder um und stürmte nach links auf einen Hauseingang zu.
    Silvania vergaß den Weichzeichner, die Schlussmelodie und erst recht den Kuss und stürmte hinterher. Sie sah gerade noch aus den Augenwinkeln das weiß-schwarze Schild am Eingang: Praxis Dr. Gerlinde Zunder, Allgemeinmedizin. Silvania dachte nicht lange nach und folgte Jacob durch die Eingangstür.
    Jacob saß im Wartezimmer. Links neben ihm saß ein fülliger Mann in einem karierten Hemd mit roten Wangen und einem zerbeulten grauen Filzhut. Rechts neben ihm saß eine zierliche Frau mit halblangen aschblonden Haaren und einer Brille mit dickem buntem Gestell. Auf ihrem Schoß lagen zerknüllte Papiertaschentücher. Sie drückte unentwegt ein Taschentuch an die Nase, die schon ganz rot war und farblich gut zum Brillengestell passte.
    Einen Moment stand Silvania unentschlossen im Wartezimmer.
    Jacob saß steif wie ein Surfbrett da und beobachtete sie.
    Silvania ließ ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Sollte alles hier enden, in der Praxis von Dr. Gerlinde Zunder? Das war nicht besser als das Ende bei den Tepes im Wohnzimmer. Nein, das war sogar schlechter. Silvania musste mit Jacob reden. Sofort. Das Wartezimmer war eigentlich der perfekte Ort.
    Es war schön ruhig. Es war warm. Es roch nach Putzmittel. Sollte Jacob nach dem Gespräch sagen, er wolle nie wieder etwas mit Silvania zu tun haben, konnte sie sich von Dr. Gerlinde Zunder gleich vier Wochen krankschreiben lassen. So lange dauerte Herzschmerz mindestens, davon war Silvania überzeugt.
    Silvania nahm sich einen Hocker, stellte ihn direkt vor Jacob und setzte sich.
    Jacob starrte Silvania an.
    Der Mann mit dem Filzhut runzelte die Stirn. Sein Hut wackelte.
    Die Frau mit den Taschentüchern sah über den Brillenrand.
    »Am besten, du sagst erst mal gar nichts«, begann Silvania im Flüsterton. »Hör einfach zu.«
    Jacob nickte. Er hatte sowieso nicht vorgehabt, etwas zu sagen.
    »Das, was bei unserer Nachhilfestunde passiert ist, tut mir leid«, sagte Silvania. Und sie meinte es auch. »Am besten, du vergisst es einfach. Geht das?«
    Der Mann mit dem Filzhut und die Frau mit den Taschentüchern schielten zu Jacob.
    Jacob schüttelte den Kopf.
    Der Mann mit dem Filzhut und die Frau mit den Taschentüchern sahen wieder zu Silvania.
    »Dachte ich mir.« Silvania seufzte. »Ich kann das alles erklären. Es ist alles vollkommen normal. Genau wie ich. Total normal. Haha.« Silvania räusperte sich. Das Lachen am Ende war etwas zu schrill herausgekommen.
    Jacob runzelte die Stirn.
    Die Frau mit den Taschentüchern musterte Silvanias Fledermaus-Unterhemd und wich etwas zurück.
    »Unsere ganze Familie ist total normal. Normalerweise. Wir hatten nur gerade Besuch von Onkel Vlad. Das ist der, der ...«
    »Der mich kopfüber ausschütteln wollte?«, fragte Jacob.
    »Genau.«
    Der Filzhut wackelte heftig. Der Mann sah von Jacob zu Silvania und wieder zurück.
    »Jedenfalls ist Onkel Vlads Familie total theaterverrückt. Aber sonst sind sie natürlich nicht verrückt. Sie haben bei uns ein Theaterstück geprobt. Für Halloween, verstehst du? Als kleinen Halloween-Scherz haben sich dich gleich in die Probe eingebaut.«
    Silvania lächelte, so schön sie konnte. Und so normal.
    »Als Scherz?« Jacob richtete sich auf seinem Stuhl auf.
    »Ich weiß. Der Humor von Onkel Vlad ist gewöhnungsbedürftig«, sagte Silvania schnell.
    Jacob nickte langsam. »Und wieso hat dein Onkel ein grünes und ein orangefarbenes Auge?«
    Die Taschentuchfrau ließ das Taschentuch sinken und musterte Silvania genauer.
    »Äh ... Kontaktlinsen. Das gehört alles zum Kostüm. Und bevor du fragst: die Zähne auch«, erwiderte Silvania.
    »Der Mäuseschwanz, der dem kleinen dicken Jungen aus dem Mund hing, auch?«, fragte Jacob.
    Silvania nickte.
    Die Taschentuchfrau verzog das Gesicht. Sie schnaufte dreimal hintereinander.
    »Cooles Kostüm«, meinte Jacob und nickte anerkennend. Dann runzelte er die Stirn. »Aber was war mit der Frau mit dem riesengroßen Haarturm?«
    »Das war Tante Karpa.«
    »Die ist geflogen«, sagte Jacob.
    Der Mann mit dem Filzhut tippte sich an die Stirn und schob den Hut nach hinten. Er sah vergnügt von Silvania zu Jacob. Endlich war mal was los im Wartezimmer von Dr. Gerlinde Zunder.
    »GEFLOGEN?« Silvania prustete. »Du glaubst doch nicht, dass sie wirklich geflogen ist?«
    Die Frau mit der bunten Brille
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