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Ein zahnharter Auftrag

Ein zahnharter Auftrag

Titel: Ein zahnharter Auftrag
Autoren: Franziska Gehm
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der Großstadt brach die Abenddämmerung herein. In den Häusern gingen die Lichter an. Jalousien wurden heruntergelassen. Die Bewohner setzten sich mit Salzstangen vor den Fernseher. Oder sie legten sich mit einem Buch ins Bett. Manche stiegen in langen Mänteln auf Dächer.
    »Wir kommen bestimmt bald wieder«, sagte Vlad Tepes. Er stand mit seiner Familie auf dem Dach des Reihenhauses Nummer 23. Unter dem rechten Arm trug er einen Kanister. Darin war der Germania-Dracona-Trunk.
    »Dann bleiben wir mal länger«, sagte Tante Karpa.
    Mihai nickte erfreut. Elvira zupfte an ihrem Pullover. Die Zwillinge zogen mit einem Seitenblick auf ihren Cousin die Augenbrauen zusammen.
    »Wir besuchen euch bald in Bistrien«, sagte Mihai.
    »Ja!«, rief Daka sofort. Am besten, wenn Krypton Krax gerade ein Konzert gaben oder die Freestyle-Fly-Meisterschaften waren.
    Onkel Vlad und Tante Karpa umarmten ihre Verwandten heftig und tauschten liebevolle Kopfnüsse aus. Woiwo ließ sich von Mihai über die Locken fahren, Elvira kniff ihn in eine seiner Pausbacken und die Zwillinge gaben ihm schnell eine Kopfnuss. Woiwo streckte ihnen zum Abschied die Zunge heraus. Extra weit.
    Vlad, Karpa und Woiwo machten sich abflugbereit. Sie streckten die Arme zur Seite aus und senkten die Köpfe.
    »Boi fugli! «, rief Mihai und klopft seinem großen Bruder auf die Schulter.
    »Wünsch ich euch auch«, sagte Elvira. Elvira Tepes hatte über dreizehn Jahre in Transsilvanien gelebt. Sie wusste, dass ›boi fugli‹ Vampwanisch war und ›guter Flug!‹ hieß.
    Tante Karpa lächelte ihrer Schwägerin zu. Dann stieß sie kurz und leise auf. »Azdio!«
    »Azdio!«, riefen Daka, Silvania, Elvira und Mihai. Sie winkten.
    Vlad, Karpa und Woiwo erhoben sich mit ein paar Armschlägen in die Luft. Sie drehten noch eine Ehrenrunde über dem Reihenhaus 23, dann verschwanden sie Richtung Süden und wurden eins mit dem dunklen Nachthimmel.
    Elvira und Mihai Tepes verschwanden ins Haus. Elvira wollte die Heimaterde vom Teppich saugen. Mihai wollte im Keller die Rennzecken einsammeln.
    Daka sah ihrer transsilvanischen Verwandtschaft nach und seufzte. »Am liebsten wäre ich mitgeflogen.«
    »Ich auch«, sagte Silvania leise.
    Daka blickte in den Nachthimmel. Sie runzelte die Stirn. Dann drehte sie sich mit einem Ruck zu ihrer Schwester um. »Ich habe gerade verstanden, dass du gerne mit nach Bistrien geflogen wärest.« Sie steckte sich den kleinen Finger ins Ohr und wackelte. »Muss ich zum Ohrenarzt oder bist du krank?«
    »Nicht krank, traurig. Das ist viel schlimmer«, sagte Silvania. »Ich will einfach nur weg.«
    »Wieso das denn? So schlimm ist es hier auch nicht.« Daka legte ihrer Schwester den Arm um die Schulter. Normalerweise war sie es, die in Deutschland alles doof fand und zurück nach Transsilvanien wollte. Silvania fand Menschen toll. Sogar welche, die Knoblauch aßen.
    »Doch, hier ist es total schlimm!« Silvania lehnte den Kopf an Dakas Schulter und schluchzte.
    Daka zog die Augenbrauen zusammen. Eine Silvania, die schluchzte, weil sie zurück nach Bistrien wollte, war ihr nicht geheuer. Fehlte ihr das frische, warme Blut? Möglich. Hatte sie Sehnsucht nach Bogdan, ihrem Verehrer? Vielleicht. Vermisste sie die langen nächtlichen Ausflüge? Wohl kaum. Wahrscheinlich hatte sie einfach eingesehen, dass in der Welt der Menschen nicht alles so schön war wie in ihren Büchern. Daka hatte schon immer geahnt, dass zu viel lesen nicht gut war und es mal ein böses Erwachen geben würde. Sie fuhr Silvania über die rotbraunen Haare. »Du hast recht. Ein bisschen schlimm ist es hier schon. Die ganzen Tauben ...«
    Silvania schluchzte.
    »... die Straßenbahnen ...«
    Silvania schniefte.
    »... die Rolltreppen ...«
    Silvania stieß einen kurzen Schrei aus.
    Daka sah ihre Schwester erstaunt an. »Ist es das? Die Rolltreppen?«
    Silvania schüttelte den Kopf. Eine Träne tropfte von der Nase. »Nein. Meine Rolltreppenbekanntschaft.«
    »Dein Nachhilfelehrer?«
    Silvania nickte. »Jacob«, sagte sie leise.
    »Den findest du schlimm?« Daka runzelte die Stirn.
    »Nein. Den finde ich boibine. Aber nach der Aktion bei uns zu Hause will er mich bestimmt nie wieder sehen.«
    »Nur, weil Onkel Vlad ihn kopfüber ausschütteln wollte?«, fragte Daka. In Bistrien machte man das gerne mal. Allerdings nur mit Vamirgartenvampiren.
    »Und weil Onkel Vlad am Kronleuchter hing, Tante Karpa Flugpilates machte, Woiwo gerade eine Maus gefuttert hat und du vor seinen Augen
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