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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire
Autoren: Harold Cobert
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Bügel an einen der hinteren Kleiderhaken hängt. Er greift auch nach einem Lederblouson, den er mit in den Wagen nimmt.
    Drinnen stellt er den Handywecker auf sieben, die Uhrzeit, zu der die Putzkolonne im Büro einrückt. Dann klappt er die Rückenlehne des Beifahrersitzes so weit nach hinten, dass die Kopfstütze die hintere Sitzbank berührt, legt sich auf den Rücken, mummt sich in den Blouson ein und schließt endlich die Augen. Es ist kurz nach vier Uhr morgens.
    Eine Viertelstunde später, wenn überhaupt, richtet er sich wieder auf und reibt sich mit verzerrtem Gesicht das Steißbein. Er blickt auf seine Beine, die er nicht ausstrecken kann. Er dreht sich um, klappt die Rückenlehne der Sitzbank herunter und versucht, die Bank so weit zurückzuschieben, dass er seinen Sitz komplett in die Horizontale bringen kann. Vergeblich. Der Winkel zwischen Rückenlehne und Sitzfläche lässt sich nicht weiter verringern. Es bleibt ein kleiner, unguter Höhenunterschied, der sich an den Lendenwirbeln bemerkbar macht.
    Er dreht sich auf die Seite. Trotz der leicht getönten Scheiben wird der Innenraum des Wagens vom bleichen Licht einer Straßenlaterne durchflutet. Er richtet sich wieder auf, greift nach dem Bügel, an dem sein Anzug hängt, und befestigt ihn am gegenüberliegenden Haken, sodass der Schatten genau auf sein Gesicht fällt.
    Wieder legt er sich hin, zieht die Beine hoch, schiebt den linken Arm unter den Kopf und schließt die Augen. Nach und nach wird sein Atem langsamer und tiefer.
    Plötzlich hallt das Knattern eines frisierten Mopeds durch die Nacht, kommt näher und zerreißt die Stille. Ein schrilles Spektakel.
    Er schlägt die Augen auf, seufzt, macht sie wieder zu. Er bewegt seinen Arm, dann die Beine, verharrt, bewegt sich wieder, erstarrt, rührt sich nochmals, reißt sich plötzlich mit einer brüsken Bewegung den Blouson herunter, der ihm als Decke gedient hat, und richtet sich ganz auf. Er streicht sich mit der Hand durchs Haar, über den Hals, das Gesicht, lässt seinen Blick ziellos umherirren.
    Ein Auto fährt vorbei. Von den Scheinwerfern geblendet, kneift er die Augen zusammen. Der Wagen bremst ab, wird langsamer, hält an, um in die Querstraße einzubiegen. Während sich das Auto entfernt und nur noch das künstliche Dämmerlicht der Stadt die Dunkelheit stört, bringt er die Rückenlehne des Beifahrersitzes wieder in Normalposition, steigt aus und legt sich, den Lederblouson um den Oberkörper geschlungen, mit angezogenen Beinen auf die Rückbank.
    Es ist fast 5 Uhr 15.

Fahler Morgen
    Er fährt aus dem Schlaf hoch. Sekundenlang blickt er bestürzt um sich, sinkt dann mit einem tiefen Seufzer zurück. Sein Gesicht ist feucht, klamm von kaltem Schweiß, der die ganze Kopfhaut bedeckt.
    Er reibt sich mit der Hand über die Augen. Er sieht abgespannt aus nach dieser Nacht, in der er kaum zur Ruhe gekommen ist. Seine Lider sind noch geschwollen, Zeugen eines fragilen, bedrohten Schlafs. Auf der beschlagenen Windschutzscheibe perlt die Feuchtigkeit eines kühlen Tages. Es ist 6 Uhr 13.
    Draußen regt sich fröstelnd die Dämmerung. Im fahlen Morgenlicht wird die Stadt aktiv. Passanten kommen und gehen, betreten und verlassen das Café, huschen mit Tageszeitungen aus dem Kiosk. Angestellte des Supermarktes entladen einen Lieferwagen. Zwei Männer der städtischen Reinigungsbetriebe säubern Bürgersteige und Fahrbahn. Der eine hinten, in einem Kleinfahrzeug, der andere vorn, mit einem Hochdruckreiniger bewaffnet, dessen Wasserstrahl die Abfälle in den Rinnstein befördert und von dort in die Tiefen der Kanalisation.
    Er streift sich den Blouson über, steigt aus dem Wagen, überquert die Straße, geht ins Café, stellt sich mit aufgestützten Ellbogen an die Theke. Henry, der Wirt, erkennt ihn und ruft:» He, du bist heute aber früh dran!«
    »Hab Arbeit, die liegen geblieben ist.«
    Henry sieht Philippe an.
    »Siehst aber gar nicht gut aus heute. Alles in Ordnung beidir?«
    »Ich sag dir doch, ich hab Arbeit, die liegen geblieben ist, und außerdem im Büro gerade ziemlichen Druck.«
    Henry starrt ihn alles andere als überzeugt an.
    »Tjaja, so geht’s uns allen. Wir leben in einer komischen Zeit … Was soll ich dir bringen?«
    »Einen doppelten Espresso. Und ein Croissant.«
    Philippe greift nach der Zeitung und beginnt, die Seiten zu überfliegen, während sich Henry hinter der Theke zu schaffen macht. In der Rubrik »Gesellschaft« handelt ein Artikel von der Schließung der
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