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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire
Autoren: Harold Cobert
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Philippe die Rue de Rennes entlang. Wie jeden Samstag ist die Stadt von einer leichten Euphorie erfüllt, die durch die Verheißungen der kommenden Nacht angefacht wird. Ein lauer Wind weht über die Bürgersteige.
    Manche Frauen, die ihm entgegenkommen, sehen ihn durchdringend an, ehe sie, ein spöttisches Lächeln nicht ganz verbergend, den Blick abwenden.
    Am Ende der Rue de Rennes nimmt er den Boulevard Saint-Germain, biegt wieder ab und gelangt zur Place Saint-Michel. Hier trifft man sich für einen gemeinsamen Abend oder verabschiedet sich, um getrennte Wege zu gehen. Die Terrassen sind überfüllt.
    Als er am Springbrunnen vorbeikommt, spricht ihn eine junge Frau an: »Philippe?«
    Er dreht sich überrascht um.
    »Ich bin Claire. Wir sind uns im letzten Sommer einmal begegnet, in dem kleinen Park am Hôtel des Invalides.«
    »Ja! Daran erinnere ich mich gut … Und? Haben Sie die Stelle bekommen?«
    »Nein, aber woanders.«
    »Umso besser.«
    Einen Moment lang sieht sich Claire unruhig um, als hätte sie nicht den Mut, ihm direkt ins Gesicht zu schauen.
    »Sie sehen so aus, als würde es Ihnen gut gehen«, sagt sie schließlich.
    »Sie auch.«
    Schweigen.
    »Es tut mir leid.«
    »Was?«
    »In den Tagen danach bin ich nicht wiedergekommen.«
    »Das verstehe ich.«
    Sie lächelt.
    »Was machen Sie jetzt?«, fragt sie und deutet auf die Plätzchendose.
    »Ich werde einem Freund die letzte Ehre erweisen.« Claire runzelt die Stirn.
    »Das ist eine lange Geschichte«, fügt er hinzu.
    Wieder Schweigen.
    »Ich habe mich mit Freunden verabredet, aber …«
    Claire wühlt in ihrer Tasche. Sie zieht ein kleines Notizbuch und einen Stift heraus.
    »… ich gebe Ihnen meine Handynummer, wenn Sie mal einen Kaffee mit mir trinken wollen, als Wiedergutmachung für …«
    »Nein, lassen Sie«, unterbricht er sie. »Das müssen Sie nicht.«
    »Ich weiß, dass ich das nicht muss …«
    Philippe sieht sie belustigt an.
    »Dann machen wir es anders …«
    »Ja?«
    »Ich gebe Ihnen meine Handynummer. Dann können Sie mich anrufen, wann immer Sie Lust dazu haben.«
    »Einverstanden!«
    Er gibt ihr seine Nummer.
    »Gut … Dann also bis bald?«, fragt Philippe, während er weitergeht.
    »Ja, bis bald«, antwortet Claire und geht in die andere Richtung davon.
    Philippe überquert den Platz und läuft am Seineufer entlang, bis er den Pont des Arts erreicht. Auch an diesem Abend wird gepicknickt, Bier oder Rosé getrunken, zu Musik getanzt, jongliert oder von einem Ufer zum anderen geschlendert.
    Auf der Bank, auf der er mit Baudelaire saß, küsst sich ein Liebespaar. Er spaziert ein Stück weiter und stellt sich mit aufgestützten Ellbogen ans Geländer. Langsam wird es Nacht.
    Philippe betrachtet das dunkle, ruhig dahinfließende Wasser der Seine. Dann richtet er sich auf, stellt die Plätzchendose auf das Geländer und hält sie mit der linken Hand fest. Mit der anderen nimmt er sein Handy und wählt eine Nummer. Es klingelt dreimal: »Hallo?«
    »Sandrine, ich wollte nur bestätigen, dass ich Claire nächstes Wochenende zu mir nehme.«
    »Gut …«
    »Gibst du sie mir mal?«
    Keine Antwort. Nur das Geräusch des Telefons, das auf einen Tisch gelegt wird. Dann tapsen eilige Schritte über den Boden.
    »Papa!«
    »Meine kleine Prinzessin! Sehen wir uns nächstes Wochenende?«
    »Ja!«
    »Weißt du, Baudelaire wird nicht bei uns sein.«
    »Warum denn?«
    Philippe schaut zum Horizont. Ein kleiner Himmelsfetzen wird von den letzten Sonnenstrahlen noch schwach erhellt. Die Nacht ist fast hereingebrochen.
    »Baudelaire ist zum Sternenprinzen und zur Prinzessin der Morgenröte zurückgekehrt …«
    »…«
    »Ich werd’s dir erklären. Aber sei nicht traurig. Von dort, wo er ist, passt er auf uns auf … Willst du eine Geschichte hören?«
    Claire antwortet nicht, aber er hört sie nicken. Und so erzählt er ihr ihre Lieblingsgeschichte.
    »Nächstes Wochenende erzähle ich dir noch ganz viele andere, einverstanden?«
    »Einverstanden.«
    »Gute Nacht, Prinzessin, und träum schön.«
    Philippe legt auf. Er hebt den Blick zum Himmel. Inzwischen ist es ganz dunkel. Die ersten Sterne dringen durch die Finsternis.
    Sein Handy piept, um ihm mitzuteilen, dass eine SMS eingegangen ist. Er sieht nach. Auf dem Bildschirm außer der Nummer des Absenders nur eine kurze Nachricht:»Claire, die junge Frau aus dem Park.« Philippe lächelt und schiebt das Handy wieder in seine Jacke.
    Er öffnet die Plätzchendose. Langsam verstreut er Baudelaires
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