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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire
Autoren: Harold Cobert
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machst du das eigentlich, um Geld zu kriegen?«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, ohne Arbeit?«
    »Ah …«
    Philippe betrachtet ein Schiff, das mit einer Ladung Touristen auf der Seine vorbeifährt.
    »Soll ich’s dir zeigen?«, fragt er seine Tochter.
    »Ja!!!«
    »Okay.«
    Er steht auf, führt Claire zu einem Mäuerchen gegenüber der Bank und bedeutet ihr, sich daraufzusetzen. Baudelaire beobachtet die beiden mit aufgerichteten Ohren.
    »Und vor allem: Sag nichts … Ach ja, gib mir deine Mütze.«
    Claire gehorcht. Philippe zieht die Jacke aus, gibt sie seiner Tochter, knöpft sich das Hemd auf, zerzaust sich die Haare.
    »Ein bisschen zu sauber bin ich zwar, aber egal …«
    Er zwinkert Claire zu, geht wieder zur Bank, setzt sich, zieht Schuhe und Strümpfe aus, um sich Letztere, an den Schnürsenkeln zusammengebunden, um den Hals zu hängen, schiebt die Füße unter sein Gesäß, legt die Mütze auf den Boden, schlägt das Buch auf, das er gerade gekauft hat, und beginnt auf gut Glück zu lesen.
    Baudelaire hat sich neben Philippe auf die Bank gesetzt. Sobald jemand vorbeigeht, fixiert er ihn mit aufgestellten Ohren und zur Seite geneigtem Kopf. Manche ignorieren ihn komplett, andere gehen lächelnd weiter. Ein Mann bleibt irritiert stehen und fängt an, in seinen Hosentaschen zu wühlen, aber Baudelaires Mätzchen bringen Claire zum Lachen. Der Mann sieht sie an, besinnt sich anders und geht weiter. Claire bricht in schallendes Gelächter aus.
    »Nein, wenn du lachst, funktioniert es nicht!«, erklärt ihr Philippe und muss selbst lachen über das freudestrahlende Gesicht seiner Tochter.
    Er zieht sich wieder an, und sie setzen ihren Spaziergang fort. Als sich das Licht orange zu färben beginnt, gehen sie in Richtung Châtelet und steigen in die Metro hinab.
    »Dieses Mal lachst du aber nicht …«, sagt er zu Claire, als der Zug einfährt.
    Im Wagen platziert Philippe seine Tochter auf einen der Klappsitze, nimmt Claires Mütze und stellt sich mit Baudelaire vor die geschlossene Tür. Er legt die Mütze auf den Boden, schlägt das Buch auf, das er gekauft hat. Doch anstatt zu lesen, schaut er seine Tochter an und beginnt mit lauter Stimme die Geschichte vom Sternenprinzen und der Prinzessin der Morgenröte zu erzählen. Während die ersten Sätze durch den Wagen hallen, senkt sich die übliche Indifferenz wie ein bleierner Vorhang über die Gesichter. Doch als Philippe einfach weiterspricht, als läse er ohne Unterbrechung, werden die Masken rissig und beginnen zu bröckeln, bis sie ganz auseinanderbrechen. Das Klimpern in Claires Mütze wird von Station zu Station lebhafter.
    Auf dem Bahnsteig in Montparnasse spricht eine Nonne Philippe an.
    »Danke. Danke, dass Sie ein bisschen Poesie in das Leben dieser Menschen bringen.«
    Sie lächelt den beiden zu und setzt ihren Weg fort. Claire wirft sich ihrem Vater in die Arme. Dann gehen die beiden wieder hinaus ins Freie.
    Als sie bei Bébère eintreffen, kommt ihnen Ahmed entgegengestürzt.
    »Beim Leben meiner Mutter, wo warst du denn! Ich hab den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen! Ich habe dir … ich weiß nicht, mindestens dreißig Nachrichten aufgesprochen!«
    Philippe lässt die Hand seiner Tochter los. Er wirft Fatima und Bébère einen fragenden Blick zu, ihre Gesichter sind ernst, verschlossen. Sogar Mouloud, Ahmeds kleiner Bruder ist da.
    »Was ist denn los? Ein Problem?«, fragt er besorgt.
    Ahmed zückt eine von Mouloud ausgedruckte E-Mailund hält sie ihm hin. Philippe faltet das Blatt auseinander, liest es schweigend. Als er den Kopf wieder hebt, sind seine Augen weit aufgerissen.
    »Was los ist? Du hast den Job, du Penner!«

Wohnungseinweihung
    Ein paar Tage nachdem Philippe seinen zum I. Juni beginnenden Arbeitsvertrag unterzeichnet hatte, fand er ein achtzehn Quadratmeter großes Dachzimmer im Stadtteil Alésia.
    Eines Mittags war eine Frau um die fünfzig, Typ großbürgerlicher Genussmensch, bei Bébère aufgetaucht und hatte den »Spezialteller Bébère« bestellt. Das Paar hatte Bekanntschaft mit ihr geschlossen. Sie kam gerade aus einem Feinschmeckerrestaurant und hatte noch einen Bärenhunger.
    »Das müssen Sie sich mal vorstellen«, sagte sie. »Da zahlt man Unsummen für drei Radieschen, die in einem Klecks Sauce liegen! Was soll nur aus Frankreich werden? … Hm, sehr lecker, ihr Spezialteller Bébère … Wenn das keine stärkende Mahlzeit ist!«
    Im Lauf des Gesprächs hatte sie Bébère und Fatima erzählt, dass ihr
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