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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire
Autoren: Harold Cobert
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Karte mit dem Logo der Firma, auf der sein Foto abgebildet ist. Er hält es Mahawa hin.
    »Hier, schauen Sie …«
    »Ich glaube Ihnen, ich glaube Ihnen …«
    Philippe geht noch ein Stück auf sie zu, nur einen Schritt, um ihr nicht zu nahe zu kommen.
    »Nein, wirklich, schauen Sie …«
    Mahawa beugt sich vor. Als sie sich wieder aufrichtet, hat sich ihr Gesicht entspannt.
    »Sehen Sie?«
    »Entschuldigung, ich dachte schon …«
    »Das ist doch normal. An Ihrer Stelle hätte ich dasselbe gedacht!«
    Die junge Afrikanerin runzelt die Stirn.
    »Aber warum …«
    »Ich habe die ganze Nacht im Auto gesessen«, erklärt Philippe rasch. »Eine Geschäftsreise in die Provinz … Anstatt erst noch nach Hause zu fahren, bin ich gleich her … Tja …«
    Für einen kurzen Moment verweilt Mahawas Blick auf Philippes Ehering.
    »Wissen Sie, so wie ich aussehe, wollte ich nicht, dass meine Frau beim Aufwachen einen Schrecken kriegt!«
    Philippe und Mahawa lachen der Situation gemäß kurz auf.
    »Dann fange ich jetzt mit der Damentoilette an und komme später wieder …«
    »Ich brauche nicht mehr lange. Nur noch schnell rasieren, und schon bin ich fertig.«
    Mahawa wendet sich zum Gehen.
    »Mademoiselle?«
    Sie dreht sich um.
    »Wenn Sie vielleicht …«
    Er deutet mit einer vagen Armbewegung auf den Raum, ohne den Satz zu beenden.
    »Ich meine, Sie verstehen schon …«
    »Ich sagte Ihnen doch, dass ich Sie nicht gesehen habe …«
    Sie lächeln sich einvernehmlich zu. Mahawa verlässt die Herrentoilette.
    Wie versteinert steht Philippe da, den leeren Blick auf die Tür geheftet, die sich vor ihm geschlossen hat.
    Plötzlich dringt das Geräusch einer Wasserspülung durch die Trennwand zwischen Herren- und Damentoilette. Man hört, wie eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wird, kurz darauf Putzgeräusche.
    Philippe kommt wieder zu sich, geht ans Waschbecken und fängt an, sich zu rasieren.

Countdown
    Kurz nach neun. Im Großraumbüro der Vertreter summt es wie in einem Bienenstock. Vier doppelte Reihen von Neonleuchten beherrschen die Decke des Raums und verbreiten ein Licht wie in einem Operationstrakt. Die fehlenden Trennwände zwischen den Schreibtischen, die in rechteckigen Sechsergruppen angeordnet sind, verhindern jede Form von Privatsphäre und Untätigkeit. Vorne, hinten, links, rechts, immer ist jemand in der Nähe, der ein privates oder geschäftliches Gespräch mithören kann, der sehen kann, wer gerade woran arbeitet oder auf welcher Internetseite sich jemand bewegt. Um ein bisschen Ruhe und Einsamkeit zu finden, muss man hinunter auf die Straße gehen und somit in den Augen derer, die ihren Arbeitsplatz nicht verlassen, eine Pause einlegen. Alles ist darauf ausgerichtet, bloß nicht die Aufmerksamkeit von dem einzigen Ziel abzulenken, das als erstrebenswert und heilbringend gilt: Bestellscheine an die Leute zu bringen. An der hinteren Bürowand erinnert eine große Tafel an die wöchentlichen Zielvorgaben jedes Mitarbeiters, die Tag für Tag, Woche für Woche in einer morgendlichen Zeremonie festgelegt werden, Zielvorgaben wie der Countdown einer unsichtbaren Zeitbombe, die an jedem Knöchel hängt.
    Während alle anderen schon emsig arbeiten – Nachfassen, Akquise, Termine vereinbaren –, notiert Philippe verstohlen ein paar Telefonnummern von Hotels, bei denen er für die nächste Nacht anrufen will.
    »Na, Philippe, was sitzt du da rum? Träumst du am Montag schon wieder vom nächsten Wochenende?«
    Philippe fährt zusammen. Er will rasch die Internetseite auf seinem Bildschirm schließen, aber Stéphane Tascal, der junge, ehrgeizige Leitwolf der Meute, hat sich schon ungefragt auf seinen Schreibtisch gesetzt.
    »Hotels? Hat dich deine Frau vor die Tür gesetzt, oder was?«
    »Spinnst du? Ich will sie mit einem netten Wochenende überraschen …«
    Stéphane schaut sich Philippes Bildschirm genauer an. »In einem Ibis am Stadtrand? Schöne Überraschung!« Philippe will etwas erwidern, doch Stéphane kommt ihm zuvor: »Warte, warte, ich hab schon verstanden!«
    »Was hast du verstanden?«
    »Ein kleiner Seitensprung nach Büroschluss, oder?«
    »Nein!«
    »Na, komm schon, mir kannst du es doch ruhig sagen … Siehst du deshalb so fertig aus? Machst du es vor der Arbeit, um entspannter in den Tag zu gehen?«
    »Nein, ich schwör dir!«
    »Immer schön locker bleiben, Kleiner … Ein flotter Abstecher von Zeit zu Zeit hat noch keinem geschadet!«
    Angesichts der katastrophalen Wendung, die das
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