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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire
Autoren: Harold Cobert
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zugelassen, und sie hat vor dem Auflegen danke gesagt. In der Regel scheitert der Dialog in einem noch früheren Stadium.
    »Ja, hallo?«
    »Guten Tag, Monsieur, entschuldigen Sie die Störung, ich würde gern mit Monsieur Fontanel sprechen …«
    »Der bin ich.«
    »Guten Tag, Monsieur Fontanel, wenn ich mich vorstellen darf, Philippe Lafosse von der …«
    Klack.
    Manche Gesprächspartner erkennen sofort, dass es sich um Telefonakquise handelt: Die minimale, durchs Headset bedingte Verzögerung, mit der der Vertreter das Gespräch beginnt, reicht bisweilen schon aus. Oft ist die Reaktion radikal und unwiderruflich.
    »Hallo? Hallo?«
    »Guten Tag, Monsieur, ich …«
    Klack. Aus und vorbei.
    Anstatt einen Termin zu ermöglichen, kann es auch passieren, dass ein Gespräch ins Absurde abgleitet:
    »Hallo, ja bitte?«
    »Guten Tag, Monsieur, entschuldigen Sie die Störung, ich würde gern mit Monsieur Maurice sprechen.«
    »Das bin ich, Robert Maurice.«
    Durchs Telefon hört Philippe das schrille Kläffen eines kleinen Hundes.
    »Guten Tag, Monsieur Maurice, wenn ich mich vorstellen darf, Philippe Lafosse von der Firma PAC …«
    »Pst, kleine Schlampe! …«
    »Wie bitte?«
    »Oh, entschuldigen Sie, das war Sharon Stone, meine Hündin … Ich nenne sie kleine Schlampe, wissen Sie, so nennt nämlich Manny, der Boxer, Sharon Stone, ich meine die echte Sharon Stone in Basic Instinct … Aber Verzeihung, was haben Sie gesagt?«
    Das Kläffen steigert sich.
    »Ich störe Sie, Monsieur Maurice, vielleicht ist es Ihnen lieber, ich rufe später noch einmal an?«
    »Nein, nein, nein, überhaupt nicht, ich bitte Sie …«
    »Ich arbeite für eine Firma, die Wärmepumpen vertreibt, und …«
    »Ah, toll!! Wärmepumpen, die sind doch ökologisch, oder?«
    »Ja, das auch …«
    »Weil … meine Sharon, wissen Sie, die ist nämlich sehr offen für Ökologie, die echte ja übrigens auch … Sie hat ein gutes Gespür für Umweltverschmutzung … Sie ist extrem sensibel, verstehen Sie?«
    Was folgt, ist ein halbstündiges Gespräch in dieser Art, bei dem am Ende nicht einmal ein Termin herausspringt, denn Sharon Stone mag es nicht, wenn man sie in ihren Gewohnheiten stört. Aber selbst wenn ein Termin zustande kommt,muss man dann den Kunden auch noch überzeugen, ehe man mit ausgefülltem Bestellschein und einer ersten Anzahlung wieder gehen kann.
    Philippe nimmt die Fernbedienung von dem Sperrholzmöbel, das als Nachttisch dient, und schaltet das Fernsehgerät an. Er zappt zwischen den Sitcoms, den Talkshows, den Werbeblocks, den regionalen und landesweiten Nachrichtensendungen mit ihren täglichen Späßen hin und her: Die gesunkene Kaufkraft trifft auf die schwindelerregenden Profite einiger börsennotierter Unternehmen, die Schließung der Obdachlosenheime geht mit dem Beginn der warmen Jahreszeit und der Ankunft der ersten Badegäste an der Côte d’Azur einher, der Hunger in der Welt trifft in Erwartung der sommerlichen Bademode auf die unterschiedlichsten Diäten und als Krönung des Ganzen ein Wetterbericht, der zur Wochenmitte eine Verschlechterung und fast herbstliche Eintrübung voraussieht, Beweis dafür, dass es aufgrund der Klimaveränderung keine Jahreszeiten mehr gibt.
    Nach der Ankündigung des Abendprogramms und einem süßlichen Abschiedsgruß des Sprechers schaltet Philippe den Fernseher aus und verharrt für einen Moment mit leerem Blick auf der Bettkante, ehe er aufsteht, seine Jacke nimmt und geht.

Clown in Rotgelb
    Philippe stellt sein Tablett ab und nimmt Platz. Das McDonald’s-Restaurant in diesem Gewerbegebiet ist für einen Montagabend überraschend belebt. Familien sitzen vor Bergen von Styroporschachteln, zerknüllten Plastikverpackungen und Bechern. Hinter dem Gelächter und munteren Treiben der Kinder sind die Gesichter von Sorgen gezeichnet, die Schultern von Schulden gebeugt. Hier und da sitzen Grüppchen von Jugendlichen zusammen, essen Fritten und Hamburger, trinken Milchshakes, reden laut und stellen eine poröse Selbstsicherheit zur Schau, die von feinen Rissen der Lebensunlust und existenzieller Verunsicherung durchzogen ist.
    Im Fenster überschneidet sich Philippes Spiegelbild mit einem durchsichtig umrandeten Aufkleber, der den breit lächelnden, rotgelben Werbe-Clown darstellt.
    Während er in stiller Zweisamkeit mit dem regungslosen Harlekin des globalen Kapitalismus zu Abend isst, klingelt sein Handy. Auf dem Bildschirm erscheint der Name »Jérôme«, einer der wenigen Menschen in
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