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Ein Winter mit Baudelaire

Ein Winter mit Baudelaire

Titel: Ein Winter mit Baudelaire
Autoren: Harold Cobert
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Gespräch genommen hat, schiebt Philippe unauffällig eine Hand in seine Jackentasche und wählt auf dem Handy die Festnetznummer seines Bürotelefons, das sofort zu klingeln beginnt. Er entschuldigt sich bei Stéphane und nimmt ab.
    »Philippe Lafosse … Ja, Monsieur Markovic, danke für Ihren Rückruf …«
    Er hält eine Hand vor das Mikrophon des Telefons.
    »Ein Kunde …«, flüstert er Stéphane zu.
    Der hebt aufmunternd beide Daumen und kehrt an seinen Schreibtisch zurück.
    Philippe setzt sein fiktives Gespräch fort, tut, als notierte er in seinem Kalender einen Termin, legt auf. Als er dann rasch seine Sachen zusammensucht, um zu gehen, hört er plötzlich, wie François, der kaufmännische Leiter, nach ihm ruft:
    »Philippe, können wir uns fünf Minuten sprechen?«

Beichtstuhl
    Philippe geht durch die Tür, die François hinter ihm schließt. Obwohl es in dem Raum weniger Neonlampen gibt, ist die Beleuchtung unpersönlich und kalt.
    »Setz dich.«
    »Danke.«
    Die Männer nehmen zu beiden Seiten eines großen Glasschreibtischs Platz. Eine Akte liegt vor François.
    »Und? Wie geht es dir?«
    »Gut.«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    »Heute scheinst du aber nicht gerade in Form zu sein.«
    »Schlecht geschlafen. Nichts Schlimmes.«
    »Deine Frau?«
    »Meine Frau?«
    »Ja, wie geht es ihr?«
    »Ah … Gut, danke.«
    »Und deiner Tochter?«
    »Auch sehr gut.«
    François lächelt mechanisch und steht auf. Die Hände in den Hosentaschen, geht er zum Fenster und bleibt davor stehen.«
    »Du scheinst ein rundum glücklicher Mann zu sein …«
    Mit dem Rücken zu Philippe gewandt, macht François eine kurze Pause. Draußen ist der Himmel lavendelblau.
    »Warum sind deine Ergebnisse dann so miserabel?«
    François dreht sich um und lehnt sich an den Fensterrahmen. Im Gegenlicht ist sein Gesicht kaum zu erkennen.
    »Also? Warum?«
    »Ich …«
    François setzt sich wieder und öffnet die Akte, die auf dem Schreibtisch liegt.
    »Vor zwei Monaten ein Minus von zwanzig Prozent, letzten Monat ein Minus von zehn Prozent, das heißt insgesamt ein Absturz von dreißig Prozent. Dagegen haben die meisten deiner Mitstreiter einen kontinuierlichen Aufwärtstrend zu verzeichnen. Unsere Branche erfreut sich eines gesunden Wachstums. Also?«
    Ihre Blicke begegnen sich, Philippe schaut sofort weg.
    »Philippe, was auch immer du für Sorgen in deinem Privatleben hast, in dieses Büro dürfen sie nicht hineingetragen werden.«
    Philippes Blick irrt durch den Raum, bis er sich auf einen Punkt an der Wand heftet.
    »Ich werde mich wieder fangen …«
    Die beiden Männer sehen sich prüfend an.
    »Ich werde die Sache in den Griff kriegen«, beharrt Philippe.
    »Das hoffe ich … Vergiss nicht, dass dein Vertrag zum Monatsende ausläuft …«
    François klappt mit einem mechanischen Lächeln die Akte zu.

Telefonakquise
    Philippe fährt aus dem Schlaf. Beklommen lässt er seinen Blick durchs Zimmer schweifen, dann sinkt er mit einem tiefen Seufzer auf die Matratze zurück. Das helle Licht des Spätnachmittags fällt durch sein Fenster, das zum Parkplatz hin liegt. Stimmen aus einem Fernseher dringen gedämpft durch die Zimmerdecke.
    Mehrmals reibt er sich mit der Hand übers Gesicht und schaut auf die Uhr: Es ist kurz nach sechs. Als er nach dem Mittagessen gekommen ist, um seine Sachen zu deponieren, hat er sich eigentlich nur für ein paar Minuten hingelegt und ist eingeschlafen. Er ist also nicht mehr ins Büro gegangen.
    Er schiebt die Hände unter den Kopf und wartet, bis sich sein Blick im hypnotischen Weiß der Decke verliert. Die Bilanz dieses Tages, an dem er zum ersten Mal nicht in die eheliche Wohnung zurückgekehrt ist, kann es nicht einmal mit diesem einfallslosen Standardzimmer der Kette Formule 1 aufnehmen: mehrere Besichtigungstermine für freie Mietwohnungen, aber kein einziger Termin mit einem potenziellen Kunden. Dutzende von Telefonaten und ebenso viele abschlägige Antworten.
    »Hallo?«
    »Ja, guten Tag, Madame, entschuldigen Sie die Störung, ich würde gern mit Madame Lemaire sprechen …«
    »Am Apparat …«
    »Guten Tag, Madame Lemaire, wenn ich mich vorstellen darf, Philippe Lafosse, von der Firma PAC …«
    »Kenne ich nicht.«
    »Wir vertreiben Wärmepumpen, Madame. Haben Sie schon einmal etwas von Wärmepumpen gehört?«
    »Ich brauche nichts, danke.«
    »Wenn Sie möchten, können wir gern einen Termin ausmachen, um …«
    Piep, piep, piep. Dabei hat Madame Lemaire sogar den Ansatz eines Gesprächs
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