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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld
Autoren: Günter Grass
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bestimmt.«
»Und woher nehmen?«
»Schlage Bahnhof Friedrichstraße vor, MitropaGaststätte. War mal Agententreff.
    Ein historischer Ort sozusagen.«

    Fonty setzte ein subversiv verschlossenes Gesicht auf und machte längere Schritte.
    So kurzbeinig Hoftaller war, er blieb ihm zur Seite: »Kein großer Auftrieb, versprochen. Ne kleine gemütliche Runde nur …«
    »Würde trotzdem, wie gehabt, zu radaumäßig verlaufen … Außerdem stinkt mir …«
»Soll das etwa ne Verweigerung sein?«
»Soll das heißen, ich muß?«
»Um nicht deutlicher zu werden: Glaube ja.«
»Und wenn ich nein sage …«
»Würde mich traurig machen, Wuttke. Sie wissen ja, wir können auch anders.«
Nachdem sie das letzte Stück Weg stumm hinter sich gebracht hatten, blieb Fonty kurz vorm S-Bahnhof stehen. Nun nicht mehr von subversivem Ausdruck, hob er, als sollte zur Rede ausgeholt werden, den rechten Arm, ließ ihn dann aber sinken und sprach über Hoftaller hinweg: »Wie sagte der alte Yorck bei Laon, als die Russen nicht anrückten? – ›Nunja, es muß auch so gehn.‹«
Dieser Ausspruch ist, wie wir vom Archiv wissen, Zitat aus einem Brief an den märkischen Pfarrer Heinrich Jacobi, in dem ferner zu lesen steht: »Von meinem Jubelfeste‹ schreibe ich Ihnen nicht. Die konservativen Blätter, die mich als einen ›Abtrünnigen‹ – es ist aber nicht so schlimm damit – einigermaßen auf dem Strich haben, haben nur sehr wenig davon gebracht …«

2 Annähernd schottisch
    Weiter stand in dem Brief an Pfarrer Jacobi: »Man hat mich kolossal gefeiert und – auch wieder gar nicht. Das moderne Berlin hat einen Götzen aus mir gemacht; aber das alte Preußen, das ich durch mehr als vierzig Jahre hin in Kriegsbüchern, Biographien, Land- und Leuteschilderungen und volkstümlichen Gedichten verherrlicht habe, das ›alte Preußen‹ hat sich kaum gerührt und alles (wie in vielen Stücken) den Juden überlassen …«
    Um Einsicht in das Original dieses Briefes vom 23. Januar 189o zu nehmen, in dem immerhin steht, daß der Minister von Goßler, sein alter Gönner, die Sache »persönlich herausgerissen« habe, hat Fonty uns wenige Tage vor Weihnachten besucht. »Ist ja nun keine Weltreise mehr wie früher, selbst wenn die SBahnverbindung nach Potsdam noch nicht recht klappt. Aber mit dem Bus geht’s!«
    Das rief er noch in offener Tür und überreichte den Damen wie üblich, wenn er uns aufsuchte, einen Strauß Blumen, besser gesagt, drei Mistelzweige und deren glasig blasse Früchte, eine, wie uns versichert wurde, englische, doch gleichfalls in Wales und bis hoch zu den OrkneyInseln lebendig gebliebene Tradition: »Bitte darum, zur Kenntnis zu nehmen: That’s British Christmas!«
    Als wir nach seinen Wünschen fragten, fragte Fonty zurück: »Warum wird man siebzig?« und nannte dann Briefe, darunter den an Jacobi, die alle um den Geburtstag vom 3o. Dezember kreisten und um dessen offizielle Nachfeier, die gleich zu Beginn des neuen Jahres, am 4. Januar, im Restaurant »Englisches Haus« in der Mohrenstraße stattgefunden hatte.
    Er blieb nicht lange und machte sich keine Notizen. Kaum, daß er beim Lesen nickte oder die Brauen hob. Außer den Briefen durften wir ihm einige den bejahrten Greis feiernde Zeitungsberichte vorlegen, die er – sogar die Eloge in der Vossischen - nur flüchtig las. Weiter reichte sein Interesse nicht. Bevor er nach einigem Geplauder – es ging um Tagesereignisse, zu denen die blutigen Unruhen in Rumänien zählten – uns, das Archiv, verließ, kam er noch einmal auf den vor hundert Jahren abgefeierten Geburtstag, wobei er dem eigenen, der bevorstand, nicht ohne Bedenken, fast mit Furcht entgegensah: »Muß ja nicht sein. Muß wirklich nicht sein!«
    Deshalb hat er das von Hoftaller gewünschte Fest ausgeschlagen. Nichts klappte wie geplant. Im Bahnhof Friedrichstraße, in dessen Mitropa-Gaststätte Hoftaller einen Tisch reserviert hatte, kam keine Feierlichkeit auf. Zwar waren drei oder vier junge Männer, die um das betagte Geburtstagskind versammelt werden sollten, pünktlich zur Stelle, doch der Ehrengast ließ auf sich warten. Es werden welche vom Prenzlauer Berg gewesen sein, dieser oder jener. Anscheinend war keiner unter ihnen, der später, auf Grund von Akteneinsicht, zu Schlagzeilen gekommen ist. Vieles hat sich seitdem durch Vergessen erledigt, manches lebte noch lange vom bloßen Verdacht; doch damals konnte man sorglos von Talenten sprechen, die Hoftaller geladen hatte. Die Auswahl war groß.
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