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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld
Autoren: Günter Grass
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Und Fonty, dem schon immer aufkeimende Begabungen tauglich zum Vergleich mit Poeten gewesen sind, die einst im Leipziger Herwegh-Club oder im Tunnel über der Spree ihre Verse vorgetragen hatten, verglich die Prenzlberger gerne mit Wolfsohn, Lepel oder Heyse, besonders im Rückblick auf revolutionäre Zeiten; das war ihm ein Daumensprung nur: vom Vormärz zu den Montagsdemonstrationen. Und da die jungen Poeten den alten Herrn nie als schrulligen Theo Wuttke verlacht, sondern als Fonty hochgeschätzt haben, gelang es ihnen mühelos, sein die Zeit verkürzendes Verständnis von Politik und Literatur auf Glaubenssätze oder einen Scherz zu verknappen: Teils wurde er bis zur Erhabenheit verklärt, teils zum Maskottchen verniedlicht. Und weil er scheinbar über allem Zeitgeschehen stand, war ihm die Aufgabe zugefallen, zwischen den sich anarchistisch gebenden Dichtern und der immer besorgten Staatssicherheit zu vermitteln. Wir können nur vermuten, daß die jahrelange Duldung der unruhigen und manchmal vorlauten Prenzlberger Szene nicht nur der Harmlosigkeit ihrer Produkte, sondern auch Fonty zu verdanken war, der mit gewiß kenntnisreichen und – seinem Wesen nach sarkastischen Gutachten sowie in witzigen Personenbeschreibungen die Wünsche seines Tagundnachtschattens erfüllt und so die dem Staat verdächtigen Genies auf Mittelgröße verkürzt hat. Man dankte ihm das. Er durfte als Schutzpatron gelten. Doch hatte es nicht nahegelegen, daß auch er, das Maskottchen vermeintlich konspirativer Versammlungen, Gegenstand gutachtlicher Beurteilungen zu sein hatte, und zwar aus Sicht der jungen Talente? Diese Spiegelungen verlangte ein auf permanente Rückversicherung und vorbeugende Fürsorge angelegtes System, dem jemand wie Hoftaller stets, sogar nach dessen Untergang, verpflichtet gewesen ist. Enttäuscht warteten die Gäste auf den Ehrengast. Unruhe kam auf. Wir stellen uns besorgte Gespräche vor. Hoftaller mußte beschwichtigen. »Was issen mit Fonty los?«
    »Wird sich im Tiergarten verlaufen haben.«
»Der ist doch sonst die Pünktlichkeit in Person.« »Unser Freund kommt bestimmt. Hat ja zugesagt.« »Auf den können wir lange noch warten. Der is inne
    Freiheit drüben und verjuxt sein Begrüßungsgeld.« »Für den sind wir historisch jeworden, na, wie seine
Tunnelbrüder …«
»Paß auf! Den führn se jetzt im Westen spazieren, am
Wannsee womöglich. Zum Siebzigsten ein Galaabend für
Fonty am Sandwerder. Und einer dieser Oberwessis mit
Fliege am Hals hält nen Festvortrag über die
Unsterblichkeit als Wegwerfprodukt …«
»Quatsch! Wenn einer redet, dann Fonty, irgendwas über
Jenny Treibel. Wie die mit ihrem Clan das Ende der
Mauerzeit erlebt. Und was dabei an Profit rausspringt.« »Oder sie reichen ihn rum: von einer Talkshow zur
andern. Der quasselt doch gerne. Den sind wir los.« »Ich bring ihn euch!« sagte Hoftaller oder hätte er sagen
können. »Unser Fonty wird begreifen müssen, wohin er
gehört, selbst an seinem Geburtstag.« Mit letztem Wort
klopfte er knöchelhart auf die Tischplatte und versprach,
mit dem Ausreißer »in Bälde« zurück zu sein. Den jungen
Talenten spendierte er ein Tellergericht, Hackbraten mit
Spiegelei zu Bratkartoffeln, eine weitere Runde Bier und –
wie zum Trost – eine Lage Nordhäuser Korn. »Na gut,
warten wir, bis er hier antanzt, endlich.« Dann wird sich
Hoftaller mit seiner ihm allzeit berufstauglichen Nase auf
Suche begeben haben. Ohne Umweg nahm er die S-Bahn
zum Bahnhof Zoo. Und da er den westlichen Teil der
Stadt in sein Ordnungssystem einbezog, stieg er nicht wie
in Feindesland aus, sooft er Fonty gegenüber beteuert
hatte, ihn schmerze die notwendig gewordene Öffnung der
Friedensgrenze. Sogar uns gegenüber sagte er: »Wird man
sich noch zurückwünschen eines Tages, den Schutzwall.« Damals, zum Zeitpunkt der sich überstürzenden Weltereignisse, als nicht nur in Rumänien, sondern, wie zum Ausgleich, auch am Panamakanal scharf geschossen wurde, hat man den Bahnhof Zoologischer Garten, besonders dessen zugige Vorhallen, bis hin zur HeineBuchhandlung, als Wechselstuben benutzt. Einerseits kam Ostgeld in Bündeln günstig in Umlauf, andererseits waren Kleinbeträge in Westmark gefragt. Der unstabile Kurs von zehnkommafünf bis elf Mark Ost zu einer Mark West belebte das Geschäft, zumal sich viele Einwohner der bis vor kurzem abgeriegelten Stadthälfte für den Besuch der anderen zahlungsfähig machten: Zumindest für einen Kinobesuch und ein Bier danach
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