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Ein unverbindliches Ja

Ein unverbindliches Ja

Titel: Ein unverbindliches Ja
Autoren: Katja Reuter
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Als ich meinen letzten Trost darin sehe, dass es schlimmer nicht werden kann, belehrt mich das Schicksal. Gnadenlos, völlig unerwartet schlägt es zu und holt mich aus meinem Alltag. Es zeigt mir auf grausamste Weise, wie unwichtig diese ganzen Beziehungsprobleme doch eigentlich sind. Denn, was ist das schon im Vergleich zum Tod eines über alles geliebten Menschen.
    Mama! Warum bist du von uns gegangen? Du fehlst mir so unendlich.
    Heute ist ein grausiger Tag, ein verregneter Sommertag, der mich schrecklich frieren lässt, mir ist kalt, ich zittere am ganzen Körper. Der Himmel weint, denn nun haben wir uns hier alle versammelt, um meine Mutter zu beerdigen. Mein Blick fällt auf den Totengräber und ich muss an einen schwarzen Käfer denken. Das Insekt (mit demselben Namen wie dieser schreckliche Mann in Schwarz dort hinten) ist dafür bekannt, dass es vom Verwesungsgeruch toter Kleinsäuger angelockt wird. Am Aas setzt es chemische Duftstoffe frei, woraufhin die Totenfreunde (ebenfalls Käfer) erscheinen und der Leichenschmaus beginnt. Wie makaber, dass auch mir nachher ein Leichenschmaus bevorsteht. Bei der Vorstellung wird mir übel.
    Vor meinen Augen wird nun der Sarg in den Abgrund hinabgelassen. Alles um mich herum ist verschwommen, nur mein leerer Körper steht hier vor diesem großen Loch. Die Rede des Pfarrers kommt bei mir in Form eines undefinierbaren Geräusches an.
    Nur ein Satz prägt sich ein: »Es war ihr Wille.« Wie ein Echo wiederholen sich diese Worte in mir. Ich höre sie immer und immer wieder. Warum hat sie das bloß getan? Viele Situationen, all die schönen Momente mit ihr schießen mir durch den Kopf.
    Einen Tag nach meinem sechsten Geburtstag, ich kann mich noch genau daran erinnern, bestellten wir uns in einem Restaurant ein wirklich gelungenes Drei-Gänge-Menü.
    Mit vollem Magen fragte ich sie hinterher: »Müssen wir dieses angebrannte Essen überhaupt bezahlen?«
    Meine Mutter schaute mich verdutzt an.
    »Aber Mareike, du hättest es doch stehenlassen können. Du isst doch sonst auch nicht auf, wenn dir etwas nicht schmeckt. Höre ich da nicht eher den Reiz des Verbotenen?«
    Sie wusste, worauf ich hinauswollte.
    »Hm, ehrlich gesagt, – ja, es wäre aufregend.«
    Da zögerte sie nicht lange. »Na dann mal los! Worauf wartest du noch? Wir gehen!«
    Ohne die Rechnung zu begleichen, machten wir uns auf und davon. Es war so aufregend die Zeche zu prellen. Ich wusste schon damals, dass keine Mutter meiner Freundinnen so etwas jemals getan hätte. Schon bei den kleinsten Späßen wie zum Beispiel Äpfelklauen oder Klingelstreichen wurde mindestens Stubenarrest erteilt.
    Gleich am nächsten Tag klauten wir ein Modellauto für meinen Vater. Er freute sich sehr. Natürlich nur, weil er niemals auch nur im Traum daran gedacht hätte, dass er einen geklauten Flitzer in den Händen hielt. Er hat es auch nie erfahren. (Bleibt mir nur zu hoffen, dass er diesen Roman niemals in die Hände bekommt.) Überhaupt hatten wir so unsere kleinen Geheimnisse. Ich konnte ihr immer alles anvertrauen. Launen lebte sie aus. Meine Mutter hatte ihre eigenen Gesetze und war sehr emotional. Sie konnte lachen, bis ihr die Tränen kamen – und weinen, bis sie irgendwann später wieder freudig darüber lachte. Meine Mutter hat das Kind in sich immer behalten.
    Mein Vater ist ganz anders. Bei ihm ist davon auszugehen, dass er bereits als Erwachsener auf die Welt gekommen ist. Als er mit mir zusammen einmal bei Karstadt einkaufen war, bekam er zu viel Wechselgeld heraus. Obwohl er es erst im Parkhaus bemerkte, scheute er nicht die Mühe wieder zurückzugehen, um den überschüssigen Betrag bei dem entsprechenden Verkäufer abzugeben. Vor jeder Kasse stellte er sich in der Warteschlange ganz hinten an – wie es sich gehört!
    Beide waren immer schon so grundverschieden. Meine Mutter gab sich nie mit dem Spatz in der Hand zufrieden, sie wollte die Taube auf dem Dach. Mein Vater ist das ganze Gegenteil, er denkt weit voraus, Sicherheiten sind ihm wichtig. Er trägt seine Hosen immer mit Gürtel und Hosenträgern.
    Meine Schwester ist nicht auf dem Friedhof. Sie hat einen Nervenzusammenbruch, weil sie es war, die meine Mutter tot auffand. Wäre Annika nur ein oder zwei Stunden früher gekommen, hätte vielleicht alles anders ausgehen können. Ihr Gewissen lässt ihr keine Ruhe. Sie ist zurzeit in der Psychiatrie, ein Stück von ihr ist mit Mama mitgegangen – fort in eine andere Welt. Komplett verwirrt steht sie
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