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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl
Autoren: Christiane Schlueter
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dem Ansturm des Streites erneut zerfallen muss. Und immer so fort. In den sechstausend Jahren des jeweiligen Übergangs aber, so sagt Empedokles, gelingt es der Liebe, die vier Elemente zu vergänglichen Lebewesen zu verbinden: zu Pflanzen, Tieren und Menschen.
    Als Lehre vom Werden des Kosmos entwirft Empedokles hier ein Bild, das auch für den Mikrokosmos einer Liebesbeziehung gültig ist. Wenn man nämlich statt des Streites den neutraleren Begriff der Abstoßung setzt, dann zeigt sich, wie recht der Grieche mit seiner Annahme hatte, dass es einen ewigen Rhythmus geben müsse – den Rhythmus von Anziehung und Abstoßung. Unweigerlich wird, was getrennt ist, in der Liebe zueinander hingezogen, bis alle Unterschiede aufgehoben scheinen. Und ebenso unweigerlich tritt irgendwann die Ernüchterung ein, die Entfremdung. Wer einander eben noch tief versunken in die Augen geblickt hat, weicht nun zurück und entdeckt das Fremde am anderen, das Unverständliche, das auch zum Streit führen kann. Beide Seiten werden sich als getrennt erleben, als isoliert, wieder allein. Stirbt die Liebe nun? Nein, wenn alles gutgeht, dann gewinnt die Anziehung erneut die Oberhand, der andere wird wieder vertrauter. Die Blicke werden wärmer, der Umgang miteinander inniger, und eine neue Verschmelzung ist möglich. Dass sie nicht von Dauer sein kann, sondern immer wieder durch Phasen des Getrenntseins unterbrochen wird, gehört zu den schmerzlichen, aber realistischen Erfahrungen jeder ernsthaften Liebe.
    Den Griechen übrigens schien die kosmische Liebesgewalt des Anfangs auf Dauer doch etwas unheimlich zu sein. Eros, in älteren Bildern und Kunstwerken als schöner, mit Peitsche und Netz bewaffneter Jüngling dargestellt, wurde im Lauf der Jahrhunderte gezähmt: Um die Zeitenwende begegnet er uns als harmloser Knabe wieder, als Sohn der Liebesgöttin Aphrodite. Pausbäckig, mit Pfeil und Bogen ausgerüstet, treibt er nun sein neckisches Unwesen. Ein Paar Flügel auf seinem Rücken signalisiert: Die Liebe ist flüchtig.
    Aber ist sie das wirklich? Ist da gar nichts zu machen? Der Philosoph, der, ebenfalls in Griechenland, eines der mächtigsten Gebäude der Philosophiegeschichte errichtete, war da anderer Meinung. Platon ging es um nichts weniger als um die Ewigkeit. Auch in der Liebe – in der recht verstandenen Liebe …

Ewig und drei Tage
    G ibt es eine Liebe, die unvergänglich ist? Wie muss sie beschaffen sein, und worauf richtet sie sich? Ist sie überhaupt für uns erreichbar? Jawohl, sagt im vierten vorchristlichen Jahrhundert der athenische Philosoph Platon in seiner Schrift »Symposion«! Es gibt sie, und sie ist erreichbar.
    Der Titel dieser Schrift bedeutet sinngemäß »Gastmahl«. Zu solch einem Gastmahl, zu dem stets der intellektuelle Wettstreit gehörte, versammeln sich der Erzählung zufolge einige vornehme Männer Athens. Sie beschließen, sich diesmal keinen Rausch anzutrinken, sondern nur zum Vergnügen das Glas zu erheben. Einer der Gäste schlägt vor, sie alle sollten Lobreden auf den Eros halten. Phaidros, ein anderer Gast, von dem ursprünglich die Idee zu den Lobreden stammte, fängt dann auch gleich damit an: Er preist den alten Gott Eros, wie er bei Hesiod begegnet. Dabei nimmt er ganz selbstverständlich auf die homosexuelle Liebe Bezug. Die wurde im klassischen Athen gesellschaftlich nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert, wenn sie nur zwischen einem älteren und einem jüngeren Mann stattfand.
    Nach einigen weiteren Rednern ergreift dann der große Sokrates das Wort. Er war Platons Lehrer gewesen, doch anders als sein Schüler, der in einem athenischen Hain die sogenannte Akademie gründete und dort lehrte, hatte Sokrates keine eigene Schule ins Leben gerufen und nichts niedergeschrieben. Stattdessen war er als Philosoph auf Athens Straßen umhergewandert und hatte nichtsahnende Passanten in kritische Gespräche über Gott und die Welt verwickelt, an deren Ende die Betreffenden dank Sokrates’ beharrlicher Nachfragen regelmäßig einsehen mussten, dass sie eigentlich gar nichts mit Sicherheit wussten. Das wirkte auf viele Athener provozierend und respektlos.
    Bis heute gilt Sokrates als der weiseste der antiken Philosophen. Auch in Liebesdingen soll er unvergleichliche Besonnenheit bewiesen haben. So lag er einmal eine ganze Nacht neben dem späteren Staatsmann Alkibiades, dem schönsten seiner Schüler, ohne ihn auch nur zu berühren. Entsprechend spöttisch äußerte er sich ein andermal über
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