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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl
Autoren: Christiane Schlueter
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Kritias, einen seiner weniger standhaften Schüler: »Der Kritias kann es nicht lassen, sich an Enthydemus zu reiben, wie es auch ein Schwein nicht lassen kann, sich an Steinen zu wälzen.« Milde und Nachsicht waren des Sokrates’ Sache nicht.
    Platon hat die meisten seiner Schriften als Dialoge verfasst, um deren richtige Deutung die Philosophiegeschichtler hingebungsvoll streiten können. In diesen Dialogen lässt er gern Sokrates auftreten, wobei er dem verehrten Älteren dabei vermutlich oft eigene Gedanken in den Mund gelegt hat. So etwa im »Symposion«, worin nun, als Höhepunkt, Sokrates von der idealen, der ewigen Liebe erzählt.
    Er habe einst, so erzählt er, von der Seherin Diotima das Geheimnis der Liebe erfahren. Die Liebe, so habe sie ihm erklärt, ist kein Gott, sondern ein Daimon – ein Vermittler zwischen den Göttern und den Menschen. Sie leitet den Menschen, der das Schöne sucht. Denn das Schöne ist ja das eigentliche Ziel der Liebe. Was man liebt, das findet man schön. Jedoch sollte man mit seiner Liebe nicht bei einem einzigen, als schön empfundenen Menschen stehen bleiben. Es gilt, hinter der individuellen Schönheit das Prinzip der leiblichen Schönheit insgesamt zu entdecken. Und auch das ist erst der Beginn des Weges. Denn über der Schönheit des Körpers steht diejenige der Seele, darüber die der Handlungen (also der Tugend) und darüber die Schönheit, die in der Erkenntnis, im Wissen, liegt. Vom Wissen gilt es zuletzt weiter aufzusteigen zur Schönheit an sich, zur Idee des Schönen. Und das, so schließt Diotima, ist das wahre Ziel der Liebe.
    Das Schöne an sich ist eine Idee? Und diese Idee soll Gegenstand unserer Liebe sein?
    Das klingt sehr abstrakt, ist jedoch ganz konkret gemeint. Um es zu verstehen, muss man für einen Moment beiseitelegen, was »Idee« heute bedeutet: etwas, das nur im Denken des Menschen und irgendwie auch noch in Büchern vorhanden ist. Für Platon ist die Idee das komplette Gegenteil. Sie existiert nämlich unabhängig vom menschlichen Denken. Ja mehr noch, sie ist das Einzige, was überhaupt wirklich existent und damit ewig ist. Die Ideen existieren ewig, alles andere ist vergänglich und damit logischerweise weniger existent.
    Was aber ist dann mit den Dingen, die wir durch die Sinne wahrnehmen, mit den Pflanzen, Tieren, Menschen, ja, auch den unbelebten Gegenständen? Sie sind nach Platon eine Mischung zwischen den unsterblichen Ideen und der vergänglichen Materie. Es gibt zum Beispiel die ewige Idee »Tier«. Und es gibt das ungestaltete Fleisch, die Materie. Eine Art Schöpfergott, der so genannte Demiurg, ist dafür zuständig, beides zusammenzufügen. So entstehen nach der Tier-Idee unzählige verschiedene Tiere. Sie sind wie unvollkommene Abbilder des Urbildes, der Tier-Idee. Wenn wir solch ein Abbild richtig anschauen, wenn wir uns dabei vom Daimon leiten lassen, dann erkennen wir dahinter das perfekte Urbild. In dieser Erkenntnis steigen wir geistig hinauf in die Welt der Ideen, aus der wir übrigens auch selbst stammen. Unsere Seelen sind ja nichts anderes als ebensolche Urbilder, die nur jetzt in vergänglichen Körpern wohnen (Platon glaubte an die Reinkarnation). Vor jeder unserer Geburten weilten wir im ewigen, unsterblichen Reich der Ideen. Im Lernen und Erkennen erinnern wir uns an das, was wir dort geschaut haben. Und wir sehnen uns immer danach zurück.
    Diese Sehnsucht nach den ewigen Ideen aber heißt auf Griechisch Eros! Da ist er also wieder, Eros, jetzt als göttlicher Führer auf dem Weg zur Welt des Ewigen! Das Verb Eresthai bedeutet auf Griechisch »fragen«. In der Liebe, so Platon, fragen wir letztlich nach dem Schönsten, nach der Idee des Schönen und damit zugleich nach dem Wahren und Guten, denn dieses lässt sich vom Schönen nicht trennen.
    Platons Eros ist übrigens keine zarte, ätherische Gestalt. In kraftvollen Worten beschreibt Diotima diesen Führer: »Zuerst ist er immer arm und bei weitem nicht fein und schön, wie die meisten glauben, vielmehr rauh, unansehnlich, unbeschuht, ohne Behausung, auf dem Boden immer umherliegend und unbedeckt schläft er vor den Türen und auf den Straßen im Freien.« Zugleich ist er »tapfer, keck und rüstig, ein gewaltiger Jäger, allezeit irgend Ränke schmiedend, nach Einsicht strebend, sinnreich, sein ganzes Leben lang philosophierend, ein arger Zauberer, Giftmischer und Sophist«. Was er erreicht, geht ihm stets wieder verloren, so dass er sich immer neu um sein Ziel
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