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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman
Autoren: Simon Lelic
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eine Hand auf der Klinke. Er sah zu dem Sessel gegenüber dem Sofa und ging mit ausgestrecktem Arm darauf zu, wie ein Kleinkind, dessen Schritte noch unsicher sind. Er setzte sich auf die Armlehne, seine Knie zeigten zur Tür.
    Sie warteten. David räusperte sich.
    Als Elliots Mutter das Wohnzimmer betrat, standen Lucia und David auf. Genau wie ihr Mann wirkte Frances Samson müde. Außerdem sah sie aus, als hätte sie geweint. In einer Hand hielt sie kaum verborgen ein Taschentuch. Ihr Haar war gekämmt und zu einem schlichten Knoten zusammengebunden. Sie trug eine Jeans und lose darüber ein Hemd, das vielleicht einmal ihrem Mann gehört hatte.
    Lucia ging einen Schritt auf sie zu, aber Elliots Mutter nickte nur und flüchtete hinter den Sessel. Samson blieb auf der Armlehne sitzen. Ein unbeteiligter Beobachter hätte meinen können, die beiden seien die zögerlichen Gäste und Lucia und David die beklommenen Gastgeber. Sophie war nirgends zu sehen, aber Lucia hatte das Gefühl, dass sie oben an der Treppe lauschte.
    »Vielen Dank, dass Sie uns empfangen«, sagte Lucia. »Sie beide haben sicher viel zu tun.«
    Zu Lucias Überraschung lachte Samson. Es klang bitter, fast spöttisch. »So viel nun auch wieder nicht, Detective. Nicht genug, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen.«
    Samsons Frau legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Paul«, sagte sie. Samson drehte sich nicht um, und sie ließ die Hand wieder sinken.
    »Was wollen Sie, Detective? Warum sind Sie hier? Verzeihen Sie die direkte Frage, aber Ihr Besuch kommt etwas … unerwartet.«
    Lucia nickte. »Das ist David Wells«, sagte sie und sah Samsons Frau an. »Er ist Anwalt. Ein sehr guter Anwalt.«
    David murmelte irgendetwas. Er zupfte an einem Hosenbein und spielte mit einem Manschettenknopf.
    »Davids Kanzlei war vor einiger Zeit in einen Fall involviert. Das ist zwar schon ein paar Jahre her, aber es hat Relevanz. Für Ihre Situation. Für das, was mit Ihrem Sohn passiert ist.«
    Jetzt fingerte Samson an seinen Sachen. Er sagte nichts.
    »Es ging um einen Jungen«, fuhr Lucia fort, wieder an Elliots Vater gewandt. »Er hatte Probleme in der Schule, genau wie Elliot.«
    »Elliot hatte keine Probleme in der Schule, Detective. Er wurde schikaniert. Er selbst hatte keine Probleme. Man hat ihm welche gemacht.«
    Wieder nickte Lucia. »Ich will damit sagen, dass auch dieser Junge schikaniert wurde. Man hat ihn drangsaliert, genau wie Ihren Sohn. Vielleicht auf andere Art und Weise. Mit anderen Mitteln. Aber er litt genauso.«
    »Das ist sehr bedauerlich, Detective. Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Bitte nennen Sie mich Lucia. Ich bin nicht direkt dienstlich hier.«
    »Dann Lucia. Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Es ist vielleicht das Beste, David erklärt es Ihnen.«
    David hustete, scharrte mit den Füßen. »Ich sollte vielleicht zuerst sagen, dass ich nicht persönlich in den Fall involviert war«, begann er. »Das war vor meiner Zeit. Vor meiner Zeit bei Blake, Henry and Lorne, meine ich. Aber ich hatte davon gehört. Und als Lucia mich um Hilfe bat, habe ich mich eingelesen. Ich bin also weitgehend auf dem Laufenden.«
    Samson runzelte die Stirn. Seine Frau ebenfalls.
    »Na, jedenfalls«, sagte David, »da ist Folgendes passiert: Ein Junge, Leo Martin, sechzehn war er, dieser Junge ist bei ungefähr der Hälfte seiner Prüfungen zur Mittleren Reife durchgefallen. Womit keiner gerechnet hatte, weil er intelligent war. Sehr intelligent, eigentlich hätte er durchweg glatte A-Noten bekommen müssen oder A+ oder was auch immer 2002 aktuell war. Seine Eltern haben also Rabatz gemacht und den Prüfungsausschuss beschuldigt; die Sache schlug Wellen, und als Eltern und Schule nachforschten, stellte sich heraus, dass Leo deshalb so schlecht abgeschnitten hat, weil er in der Zeit, in der seine Eltern glaubten, er würde in der Schulbibliothek für seine Prüfungen lernen, in Wirklichkeit Facharbeiten für ein paar Jungs im Jahrgang unter ihm geschrieben hatte. Die waren zwar jünger als er, aber größer und fieser. Und sie hatten ihn schon eine ganze Weile gequält, ihn eingeschüchtert und bedroht. Auch seine Schwester hatten sie bedroht, die war zehn oder elf oder noch jünger, und damit sie sie in Ruhe ließen, konnte Leo nichts weiter tun, als sich von ihnen herumkommandieren zu lassen. Sich auf ihre Mutproben einlassen, Sachen für sie stehlen, wenn sie es von ihm verlangten, ihre Prügel einstecken und schließlich auch noch die Schularbeiten für sie
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