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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman
Autoren: Simon Lelic
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Lucia griff in ihre Tasche, die auf dem Boden stand.
    »Was ist das?«, fragte Samson. »Was haben Sie da? Ist das ein Tonbandgerät? Sie nehmen das hier doch nicht etwa auf?«
    Lucia stellte den Rekorder vor sich auf den Tisch. »Hören Sie sich das einfach mal an«, sagte sie. »Bitte.«
    Samson zögerte. Er sah seine Frau an, sie zuckte mit den Achseln. Lucia wartete, bis er sich wieder auf die Sessellehne gesetzt hatte. Dann drückte sie auf Play.

N och mal wiederholen? Was denn genau? Sie meinen, was er gesagt hat? Ich hab sie gesehen. Oder so ähnlich. Ich hab sie gesehen und sie mich, das hat er gesagt.
    Aber wirklich, Detective, typisch Samuel war das, genau wie ich es dem Direktor gesagt habe. Ich erzähle Ihnen, was passiert ist, natürlich erzähle ich es Ihnen, aber es war wirklich immer dasselbe mit Samuel. Er hat den Direktor fast zur Verzweiflung getrieben. Geschichtslehrer, hat er dann immer gemurmelt, und es stimmt ja auch: Mit Geschichtslehrern hatten wir nie besonders viel Glück. Amelia Evans zum Beispiel. Sie hat vor Samuel hier bei uns Geschichte unterrichtet. Du liebe Zeit! Die Ärmste hat den Schock ihres Lebens bekommen. Sie kam von einem Gymnasium, einer reinen Mädchenschule. Sie hat dem Direktor gesagt, sie wolle eine Herausforderung. Hat sie wörtlich so gesagt. Genau hier saß ich, vielleicht ein Stückchen näher an der Tür, und da habe ich sie das beim Vorstellungsgespräch wörtlich so sagen hören. Na ja. Eine Herausforderung kann man das auch nennen, was ihr die Schüler da bereitet haben. Oder auch einen Nervenzusammenbruch. Da war also Amelia, und ihr Vorgänger war Colin Thomas, aber bei dem stellte sich irgendwann raus, dass er auf so einer Liste stand und noch nicht mal in Rufweite von Kindern hätte kommen dürfen, und davor war da Samantha, Samantha Sowieso, eigentlich eine Nette, fand ich, bis sie dann eines Tages einfach nicht mehr aufgetaucht ist. Kein Anruf, kein Brief und auch sonst kein Lebenszeichen mehr von ihr. Und dann natürlich Samuel selbst.
    Er war zu freundlich, das war das Problem. Das klingt jetzt vielleicht lächerlich, nach dem, was er getan hat, aber ich wusste von Anfang an, dass das nicht gutgeht, ich wusste sofort: Das gibt Tränen.
    Mit so was hab ich allerdings nicht gerechnet. Ich meine, wer konnte denn das auch ahnen? Ich sitze hier, und wir reden darüber, was passiert ist, und ich weiß, dass Samuel es getan hat, Hunderte von Leuten haben zugesehen, aber ich kann es trotzdem einfach nicht glauben. Das ist wohl eine von den Sachen, die man nur glauben kann, wenn man sie mit eigenen Augen gesehen hat. Und das habe ich nicht. Gott sei Dank. Gott sei Dank nicht, denn bei so was, also, ich weiß wirklich nicht, wie ich da reagiert hätte. Was es mit mir gemacht hätte, wissen Sie? Ich kann ja so schon kaum schlafen in letzter Zeit. Das ist der Druck bei der Arbeit. Der ganze Stress. Ich kann einfach nicht abschalten. Ich nehme so Tabletten, die hat mir Jessica mitgebracht. Jessica ist meine Mittlere, die Intelligenteste, wenn auch nicht die Hübscheste, das ist Chloe, meine Jüngste, aber Jessica ist die Intelligenteste. Und ich will ja nicht undankbar erscheinen, einem geschenkten Gaul und so weiter, aber richtige Tabletten sind das nicht. Die sind, na, sagen Sie schon … pflanzlich. Die kann ich gebrauchen wie einen Kropf am Hals. Jessica arbeitet bei Holland & Barrett, müssen Sie wissen. Katie, meine Älteste, die hat ihr die Stelle besorgt, und jetzt ist sie stellvertretende Geschäftsführerin, fabelhaft hat sie das gemacht. Aber was sie immer für ein Zeug anschleppt. Was ich für einen Mist nehmen soll. Ich sage Ihnen, pflanzliche Schlafmittel können Sie vergessen. Da lob ich mir doch eine halbe Diazepam und ein großes Glas Roten.
    Aber Samuel. Es ging um Samuel. Wissen Sie, er war immer so betont freundlich. Anders als so mancher Lehrer, den wir hier hatten. So mancher, den wir hier haben. Es ist ja auch wirklich kein Wunder, dass die Kinder heutzutage so werden, wie sie werden, wenn man sich mal ansieht, was sie vorgelebt bekommen. Terence zum Beispiel, obwohl ich manchmal ja doch über ihn schmunzeln muss. Aber seine Ausdrucksweise. Also wirklich. Und es ist ja nicht nur Terence. Vicky ist genauso schlimm. Und Christina auch. Und George. George Roth. Er mag ja ein netter Kerl sein, und ich habe auch noch nie ein unanständiges Wort aus seinem Mund gehört, aber trotzdem, also ich weiß nicht, ob das richtig ist. Er ist homosexuell,
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