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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman
Autoren: Simon Lelic
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wissen Sie. Und damit habe ich ja auch kein Problem. Leben und leben lassen, sage ich immer. Aber ein Homosexueller, der christliche Werte vermittelt. Kindern. Also, ich weiß nicht. Vielleicht liegt es an meiner Erziehung. Vielleicht bin ich altmodisch. Aber so etwas, nein, das kann ich nicht gutheißen.
    Ich habe mir also Sorgen gemacht um Samuel. Wirklich. Er schien seiner Aufgabe nicht ganz gewachsen zu sein. Er war nicht hart genug. Wissen Sie, Detective, ich bekomme hier ja so einiges mit. Ich lausche nicht, aber in meiner Position – so nah, wie ich dem Herrn Direktor bin, natürlich emotional, aber auch hier im Büro direkt neben ihm –, da ist es nicht einfach, nichts mitzubekommen, selbst wenn man sich Mühe gibt, nicht zuzuhören. Und kaum einen Monat, nachdem Samuel hier angefangen hatte, saß er schon beim Chef drin. Ich habe nicht alles verstanden, was sie geredet haben. Der Direktor hat ja so eine deutliche Stimme, da liegt Autorität drin – er könnte Nachrichtensprecher werden, sage ich ihm immer –, aber Samuel, der klang durch die Tür immer, als würde er sich was in den Ärmel brabbeln. Trotzdem, dass er es schwierig fand, so viel habe ich mitbekommen. Genug, um mich zu fragen, ob er als Lehrer überhaupt geeignet ist.
    Und das war ja beileibe nicht das einzige Mal. Es ging ja sogar so weit, dass ich mir irgendwann Ausreden einfallen lassen musste, Samuel erzählen, der Direktor wäre in einer Besprechung, am Telefon oder nicht in seinem Zimmer, obwohl er fast immer in seinem Zimmer ist, er engagiert sich ja so für unsere Schule. Er ist eben auch so ein Typ, wissen Sie. Wir haben vieles gemeinsam, er und ich. Er kann wohl nicht anders, aber er sollte wirklich mal einen Gang runterschalten. Und das sage ich ihm auch. Sie haben sich eine Pause verdient, Herr Direktor. Geben Sie einen Teil der Verantwortung ab. Aber er sagt immer, ich soll ihn in Ruhe lassen damit, nicht immer so ein Trara darum machen, aber wenn nicht ich … Na ja. Wer dann?
    Meistens hat er sich Samuels Probleme natürlich angehört, aber was sollte er schon machen? Ich finde es schwer, hat Samuel immer gesagt, als könnte der Direktor eine Lösung aus dem Hut zaubern. Wobei, wenn ich jetzt so darüber nachdenke – das war hauptsächlich im Herbst-Trimester, als Samuel neu bei uns war. Danach hat er uns nicht mehr so oft behelligt. Anscheinend hatte er verstanden, dass er gewisse Dinge einfach selbst in den Griff kriegen musste. Natürlich kam er, wenn der Direktor ihn zu sich bestellte, wenn es Unterrichtsentwürfe, Lehrpläne, Prüfungsergebnisse und solche Sachen zu besprechen gab. Eigentlich genau wie die anderen Lehrer. Aber ansonsten ließ er sich kaum noch in diesem Winkel der Schule blicken. Er igelte sich ein. Deshalb war ich ja auch so erstaunt, als er am Montagmorgen plötzlich wieder hier war, am Montag vor dem Amoklauf.
    Früh am Morgen war das, wie gesagt. Der Direktor war noch gar nicht da, und ich war auch gerade erst gekommen, dabei bin ich eigentlich immer die Erste. Ich werde zwar nicht dafür bezahlt, aber mir bleibt ja gar nichts anderes übrig, wenn ich halbwegs pünktlich Feierabend machen will. Samuel wartete schon. Da draußen auf dem Boden saß er, mit dem Rücken an meine Tür gelehnt und die Knie bis zur Brust hochgezogen. Als er mich sah, ist er sofort aufgesprungen. Ich muss mit dem Direktor reden, hat er gesagt. Kein Guten Morgen, kein Hallo, Janet, wie war das Wochenende, nichts. Nur: Ich muss mit dem Direktor reden. Also hab ich zu ihm gesagt: Guten Morgen, Samuel. Was machen Sie denn schon so früh hier? Und er hat gefragt: Ist er schon da? Der Direktor, ist der schon da? Es ist doch erst sieben Uhr, habe ich geantwortet, der Direktor kommt um Viertel nach. Ich sage ihm, dass Sie hier waren, ja? Weil ich mir nämlich dachte: Du bist gerade erst gekommen und hast den Schreibtisch voll Arbeit, du hast jetzt wirklich keine Zeit für ein Schwätzchen. Schon gar nicht mit jemandem wie Samuel. Er war zwar wie gesagt immer sehr höflich, aber ein Schwätzchen konnte man mit ihm nicht halten. Dazu fehlte ihm offenbar die Veranlagung.
    Samuel hat auf die Uhr gesehen. Dann hat er die Stirn gerunzelt und sich umgeschaut, als hätte er Angst, es könnte sich jemand an ihn herangeschlichen haben, während wir uns unterhalten haben. Dann warte ich eben, hat er gesagt. Ich warte einfach hier. Und ich hab gesagt, wirklich, Samuel, der Direktor hat heute Morgen viel um die Ohren. Es wäre besser, du
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