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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman
Autoren: Simon Lelic
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dauerte auch nicht lange, ein oder zwei Minuten, und es hatte noch nicht mal richtig aufgehört zu klingeln, da waren die Kinder schon zur Tür raus. Der Tumult riss ihn offenbar aus seinen Tagträumen, und er stand langsam auf. Ich stand an der Tür und hab auf ihn gewartet.
    Ich hab ihn angelächelt, aber er hat gar nicht reagiert. Er wäre glatt an mir vorbeigelaufen, wenn ich nicht seinen Namen gesagt hätte.
    Janet, hat er gesagt. Was ist?
    Das ist doch keine Art, oder? So spricht man doch nicht mit seinen Kollegen, und von ihm hätte ich so eine Antwort schon gar nicht erwartet. Deshalb war ich wohl auch ziemlich schroff, fürchte ich. Der Direktor sagt, Sie sollen nach Hause gehen, habe ich gesagt. Sie sollen sich ausruhen. Er rechnet heute Nachmittag nicht mehr mit Ihnen, und morgen sicher auch nicht.
    Das ist alles?, hat Samuel gefragt. Er war schon im Gehen.
    Ja, hab ich gesagt. Also, ich war ja schon ziemlich vor den Kopf gestoßen. Ja, und dann: Nein. Weil ich die Schulversammlung vergessen hatte. Am Mittwochmorgen musst du hier sein, hab ich gesagt, da hält der Direktor eine Ansprache an die Schule, wegen dem, was mit Elliot Samson passiert ist. Und Samuel hat noch nicht mal auf eine Erklärung gewartet, dabei konnte er ja gar nicht wissen, wovon ich rede. Er ist einfach gegangen. Er hat mich angesehen, direkt in die Augen hat er mir geschaut, und dann ist er gegangen.
    Und das war das Letzte, was ich von ihm gesehen habe, Detective. Das war das allerletzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Ich war Ihnen wahrscheinlich keine große Hilfe, aber ich wüsste nicht, was ich Ihnen sonst noch erzählen könnte. Wie gesagt, ich habe Samuel morgens gesehen, und da war er sehr aufgeregt wegen irgendetwas, aber was, keine Ahnung. Er hat sich ungewöhnlich benommen, aber so ungewöhnlich nun auch wieder nicht, nicht für seine Verhältnisse. Dann kam die Polizei und hat uns von dieser Sache mit Elliot berichtet, das war natürlich schrecklich, wirklich entsetzlich. Aber er soll über den Berg sein, hab ich gehört. Er ist zwar noch im Krankenhaus, aber es geht ihm gut, das ist ja wenigstens mal eine positive Nachricht. Aber – ja, die Polizei kam, und dann habe ich mit dem Direktor geredet, und wir fanden beide, dass es das Beste wäre, Samuel nach Hause zu schicken. Also bin ich ihn suchen gegangen und hab es ihm gesagt. Das war’s. Weiter war nichts. Das heißt, falls noch irgendwas war, fällt es mir gerade nicht ein. Denn ich würde es Ihnen natürlich sagen, wenn noch was gewesen wäre, aber selbstverständlich. Ich bin nämlich eine richtige Plaudertasche, ich rede und rede und rede. Haben Sie ja sicher schon gemerkt. Die meisten Leute müssen mich unterbrechen. Das ist manchmal gar nicht so leicht, aber wenn man mich nicht bremst, sage ich oft mehr, als gut ist.

E s war der heißeste Tag.
    Absoluter Hitzerekord!, lautete die Schlagzeile. Seit Beginn der Aufzeichnungen, stand klein gedruckt darunter. Es war, als würde man sich einen Berg hinaufquälen und endlich den Gipfel erreichen, dachte Lucia. Allerdings kam es ihr auch nicht heißer vor als gestern, eigentlich als an jedem anderen Tag seit Beginn der Hitzewelle.
    Sie betrat die Eingangshalle und nickte dem Personal hinter dem Tresen zu. Ein Servicemitarbeiter stellte sich mit seinem Transportwagen neben sie, während sie auf den Aufzug wartete, und als sich die Türen zitternd öffneten, gab sie ihm ein Zeichen, zuerst einzusteigen, und quetschte sich nach ihm in die Kabine. Lucia drückte die Drei, er die Sechs. Die Türen schlossen sich, die Hydraulik wimmerte, und die Seilwinde zog die beiden ächzend nach oben. Lucia betrachtete ihr verzerrtes Spiegelbild in der angeschlagenen Messingverkleidung der Türen. Der Metallgriff des Wagens drückte sich gegen ihren Oberschenkel, und der Geruch von Kaffee, der aus der großen Kanne ganz oben auf dem Wagen drang, ließ die Luft noch stickiger und feuchter erscheinen, als sie ohnehin schon war.
    Die Besetzung war vollständig: Harry war da, Walter war da, und seine beiden halbstarken Freunde waren auch nicht weit. Niemand musste heute vor Gericht erscheinen, es gab keine Verdächtigen zu vernehmen und kein Verbrechen aufzuklären. Es gab keinen Grund, irgendwo anders zu sein als so nah wie möglich am Schauplatz des Geschehens.
    Lucias und Harrys Blicke trafen sich, und sie lächelte ihm kurz zu. Dann ging sie durch das Büro zu Coles Tür. Sie war geschlossen, also klopfte Lucia an und wartete. Sie
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