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Ein Toter fuehrt Regie

Ein Toter fuehrt Regie

Titel: Ein Toter fuehrt Regie
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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weder Ihren Namen noch Ihre genaue Dienstbezeichnung kenne, und üben Sie insbesondere deswegen Nachsicht, weil es mir infolge früherer privater Verbindungen an sich ein leichtes gewesen wäre, vom Landeskriminalamt zu erfahren, wer aller Wahrscheinlichkeit nach zur Bearbeitung meines Falles herangezogen werden wird. Aber zu diesem Zweck hätte ich dem dortigen Beamten wohl oder übel bestimmte Informationen liefern müssen, was bei einem gewissen Scharfsinn seinerseits mit der Gefahr einer frühzeitigen Blockierung meiner Pläne verbunden gewesen wäre.
    Sie dagegen kennen mich schon, wenngleich auch nur meine sterbliche Hülle, und Sie werden Stunden und Tage damit zubringen müssen, die Psyche des Otto-Wilhelm Ossianowski zu erforschen, weil Sie überzeugt sind, daß nur deren Kenntnis Ihnen eine Chance eröffnet, das wertvolle Leben vierer ehrenwerter Menschen zu retten. Eines Tages wird dieses Manuskript auf höchst sonderbare Weise in Ihre Hände gelangen, und Sie werden es mit fieberhaftem Eifer lesen. Es spricht, wenn ich – den Normalfall voraussetzend – an Ihre Herkunft und Ihre Ausbildung, an Ihren Hochmut gegenüber den Gescheiterten und Ihre stille Verteufelung aller Ausgeflippten denke, alles dagegen, daß Sie für mich und mein Verhalten auch nur ein Jota Verständnis, geschweige denn Mitgefühl aufbringen, und dennoch zwingt mich meine Not, diese Gelegenheit zu nutzen, mich mitzuteilen. Nun, ein Fanal kann ich nicht setzen, aber ich kann sicher sein, daß meine Tat Tausende von Menschen aufhorchen läßt und vielleicht den einen oder anderen zur heimlichen Frage bewegt, wo und wie oft er sich schuldig gemacht hat.
    Gleichviel, ob Sie nun wollen oder nicht, Sie sind gezwungen, meinen Ausführungen ein ungewöhnlich hohes Maß an Aufmerksamkeit zu schenken. So komme ich postum auch noch zu diesem Vergnügen, wie im übrigen auch noch zu manchem anderen, wie Sie ja meinem kleinen Schreiben entnehmen konnten, das ich auf dem Gelände meines Selbstmord-Centers für Sie hinterlegt habe. Ob Sie, wenn ich Ihnen vor Ihrem geistigen Auge erscheine, den Herrn Ossianowski, den Owi oder den Astowitz als Bezeichnung für mich wählen, muß ich natürlich Ihnen überlassen; die erste Möglichkeit fände ich allerdings wesentlich liebenswürdiger.
    Darf ich mich, bevor ich recht eigentlich beginne, auf Camus berufen und einen Satz von ihm zitieren: «In Tat und Wahrheit – Sie wissen es selber genau – träumt jeder intelligente Mensch davon, ein Gangster zu sein und mit roher Gewalt über die Gesellschaft zu herrschen.» Nun, so etwas wie ein Gangster bin ich jetzt, wennschon als Einzelgänger, als ‹Einzelgangster›, wenn Sie so wollen, und viele lange Stunden und Tage herrsche ich, wenn auch nicht über den Kosmos, so doch über den Mikrokosmos meiner Arbeitsstelle, der Sondergruppe für Systemplanung, wobei mich mein jetziger Zustand glücklicherweise sowohl jeder Verfolgung als auch jeglicher Bestrafung entzieht.
    Ich fühle mich in keiner Weise verpflichtet, von einer Schuld zu sprechen, die ich mir aufgeladen habe, und um Entschuldigung zu bitten, denn meine Rache ist für mich nichts anderes als Gerechtigkeit. Ich will lediglich die Gründe darlegen, die mich bewogen haben, mir selbst das Leben zu nehmen und diesen Freitod mit allem Geschick als Mittel zur Vernichtung meiner Kollegen einzusetzen.
    Lassen Sie mich mit den Umständen beginnen, unter denen ich aufgewachsen bin. 1920 in Berlin geboren, hatte ich nicht das Glück, behütet von einem Vater aufzuwachsen, der mir auch hätte Vorbild sein können, denn mein Erzeuger starb 1923 in Küstrin, als man den Putsch der Schwarzen Reichswehr niederschlug. Meine Mutter, von einem Kind, das lediglich durch seine außergewöhnliche Häßlichkeit auffiel, ebenso behindert wie abgestoßen, entzog sich aller Verantwortung, indem sie mich unter dem Vorwand einer kurzen Reise nach Rostock bei einer säuerlichen Tante abgab und sich dann an der Seite eines Möbeltischlers nach Kanada einschiffte. Da war ich drei Jahre alt und schon entwickelt genug, um die Hartherzigkeit dieser Tante voll zu empfinden. So verbrachte ich, nach einer trostlosen Kindheit auf Berliner Hinterhöfen, meine ebenso unerfreuliche Jugend in einem ostpreußischen Dorf; hier wie dort von den anderen körperlich gequält und seelisch mißhandelt. Am Ende einer langen Flucht fand ich mich erneut in Berlin. Meine Tante war bei einem Bombenangriff Ende 1944 ums Leben gekommen; ich stand allein
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