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Ein Toter fuehrt Regie

Ein Toter fuehrt Regie

Titel: Ein Toter fuehrt Regie
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Wittenau…
    Er konnte sich nur mühsam auf den Verkehr konzentrieren, als er die breite Königstraße entlangfuhr und links den Wannsee in der Morgensonne schimmern sah. Es sah aus wie zerknülltes Stanniolpapier.
    Aber schon seit 1966, als er fürs Diplom gebüffelt hatte, litt er darunter, daß ihm mitunter tagelang dumme Sprüche oder Verse nicht mehr aus dem Kopf gingen. Das arbeitete und arbeitete, und sogar beim Koitieren war’s im Gange. Nun ja, er hatte sich dran gewöhnt. Und genaugenommen war’s ja auch nur eine Lappalie gegen das, was jetzt auf ihn zugekommen war. Von dem Tage an, da er wußte, daß Annelie – endlich! – schwanger war, redete er sich ein, er würde sein Kind nie erblicken. Und diese Angst wuchs mit jedem Morgen, mit dem Annelies Niederkunft näherrückte. An diesem Donnerstag schien sie ihren Höhepunkt erreicht zu haben.
    Heute wirst du sterben.
    Sein Herz klopfte unregelmäßig, ein Schwindelgefühl packte ihn, sekundenlang schien er zu schweben, ein-, zweimal mußte er nach Luft schnappen… Nach der starken Dosis gestern abend konnte er nicht schon wieder eine Tablette schlucken, Dr. Weiß hatte ihn gewarnt.
    Es ging auch vorbei, als er in den Kronprinzessinnenweg einbog und auf dem Platz vor dem S-Bahnhof Wannsee nach Fräulein Lux Ausschau hielt. Sie war die Sekretärin ihrer Arbeitsgruppe und kam immer zu Fuß vom Nikolassteig herüber, unter der Bahn hindurch, und es war seine verdammte kollegiale Pflicht und Schuldigkeit, sie hier einzuladen und ins Büro zu transportieren. Ein Genuß war es nicht, und nicht mal Annelie, die von solchen Befürchtungen nicht frei war, konnte sich ausmalen, daß er bei seiner erzwungenen sexuellen Enthaltsamkeit irgendwie mit ihr… Im Gegenteil, sie lachte sich halb tot: Durch die Spinnenweben würdest du gar nicht durchkommen!
    Da stand Gisela Lux, und sie kam nicht ex Oriente, sondern aus Bremen. Das heißt, da war sie aufgewachsen; das Licht der Welt hatte sie noch weiter in Richtung Ostfriesland erblickt, im Dorfe Sülzbühren. Sie war robust, so richtig Bauernbühne, und sah in ihrem bräunlichen Kostüm in höchstem Maße unverheiratet aus. Und das mit Jahrgang 38.
    Brockmüller hielt und stieß ihr die Tür auf. Kaum saß sie nach den üblichen Begrüßungsfloskeln neben ihm, roch es im Wagen nach ranziger Butter. Dagegen kam keine Seife und kein Spray an. Was nicht nur ihre Heiratsaussichten, sondern auch ihre Beförderungschancen minderte, denn als Sekretärin kam man gewöhnlich nur voran, wenn man irgendwo im Vorzimmer landete. Aber welcher Direktor mochte sie unter diesen Umständen schon dort landen lassen?
    Sie fuhren die Avus hinunter, und Gisela de Luxe (sprich: de Lüx), wie sie sinnigerweise im Kollegenkreise hieß, jammerte über die zu erwartende Hitze.
    «Bei uns wehte immer eine frische Brise vom Meer rüber», sagte sie. «Wir hatten da unser Haus und sind abends immer noch einmal um zu gegangen. Aber hier… Mir gefällt’s ja hier, aber das Wetter in Berlin kann ich gar nich ab.»
    Brockmüller verzog das Gesicht. Fünfzigmal am Tag konnte sie was nicht ab – es war zum Haareausreißen. «Gehen Sie doch nachher um drei und fahren Sie ins Strandbad zum Baden.»
    «Ich muß erst noch nach Neckermann, mir ‘n neuen Badeanzug holen.»
    Zu! schrie es in Brockmüller. Zu Neckermann.
    Er fuhr zwar über hundert, aber er kurbelte das Fenster noch weiter runter. Er war gegen alles mögliche allergisch, besonders aber gegen Gerüche. Gerade fiel ihm – das mußte er sich für Annelie merken – der alte Ostfriesenwitz wieder ein von der Hochzeit, wo man eine Karre mit Mist neben dem jungen Paar herschieben muß, damit die Fliegen nicht an die Braut gehen… Hätte er nicht bei der ganzen Scheißarbeit in der Sondergruppe wenigstens eine Sekretärin haben können, die desodorierbar war?
    Der Funkturm tauchte auf, und sie wechselten auf die Stadtautobahn über.
    Die de Luxe erzählte ihm, daß sie im nächsten Sommer ganz sicher nach Kenia wollte, während er sich – durch Reden kam nun mal ‘ne Unterhaltung zustande – über die verschiedenen Aspekte der Baader-Meinhof-Prozesse ausließ.
    «Wenn ich die schon sehe – also, da bin ich wie angefaßt!» sagte sie. «Ich bin ja auch links, aber da hört bei mir der Spaß auf.»
    Brockmüller, seinerseits auch «wie angefaßt», empfand Brechreiz und wußte nicht recht, ob es am Deutsch oder am Duft lag. Jeden Morgen ging ihm die Person auf die Nerven. Aber heute lenkte sie
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